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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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machte, war er während des üblichen Rollenspiels in den Canyons kaum je in der Lage gewesen, die Sache locker anzugehen. Jedesmal, wenn sich potentielle Gangster näherten und Fred sich hinkauerte, um Unterwürfigkeit zu markieren, war er schrecklich nervös, hatte dauernd die Hand am Abzug seiner Waffe und spürte einen derart heftigen Adrenalinstoß, daß er am liebsten aufgesprungen wäre. Es fiel ihm unheimlich schwer, in der Hocke sitzen zu bleiben, wenn sich Manny oder sonst einer von ihnen mit Gangstern unterhielt. Es fiel ihm unheimlich schwer, seine Kanone unter der Jacke versteckt zu halten. Fred wußte es damals nicht, aber es ging in dieser Zeit den meisten Barfern so, daß sie die Kanonen immer schon halb gezogen hatten, sobald sich in der Dunkelheit Menschen näherten.
    An Freds erstem Einsatzabend nach der Verletzung nahm Manny ihn auf einen Patrouillenmarsch mit, der sie auch an jene Stelle führte, an der sich die Schießerei ereignet hatte. Die durchbluteten Bandagen und Mullverbände lagen immer noch auf der Erde herum.
    Wollen sie mich etwa testen? fragte sich Fred Gil. Aber er sagte es nie laut. Er überspielte seine Angst mit einem Witz. In Vietnam hatte er's auch immer so gemacht. Überspiel alles mit einem Witz.
    Seine Hüfte funktionierte immer noch nicht hundertprozentig, vor allem dann nicht, wenn es steil bergab ging. Einmal rollte er sich förmlich unter heftigen Schmerzen einen felsigen Abhang hinunter, während die anderen schon nach Grenzgängerart Verstecken spielten oder davonrannten. Bei solchen Gelegenheiten versteckten sie sich zwar, aber nicht zu gut. Und aus solchen Gründen paßte es ihm überhaupt nicht, daß Manny dazu überging, sie in Zwei- statt wie bislang in Drei- oder Viermannteams aufzuteilen, um in den Zeiten, in denen wenig los war, ein größeres Gebiet kontrollieren zu können. Als er eines Abends mit Renee Camacho unterwegs war, sahen sie eine Art Massenexodus aus Tijuana, eine Menschenmasse so weit das Auge reichte.
    Wer hätte ihnen da noch helfen können, wenn sie von dieser wahren Flut von Grenzgängern für Gangster gehalten und zu Tode gesteinigt worden wären? Es mußten wirklich Hunderte gewesen sein, die da marschierten, schweigend wie Gespenster. Sie gingen durch die Nacht über den schmalen Weg an ihnen vorbei, ohne ein Wort zu sprechen.
    Fred Gil machte inzwischen lieber im östlichen Bereich ihres Reviers Dienst, weil es dort nicht so viel Unterholz und Gestrüpp gab und die schemenhaften Gestalten, die sich in der Dunkelheit näherten, besser zu erkennen waren. Anders als auf der westlichen Seite, wo der Gestank nach Müll Sekundenbruchteile, bevor sie aus dem Gebüsch traten und direkt vor einem standen, die einzige Warnung war. Gespenster, die urplötzlich da waren. Wirklich direkt vor einem.
    Eines Abends mußten sie im westlichen Bereich direkt neben einer verlassenen Kiesgrube einen Canyon durchqueren. Das Gestrüpp bildete in diesem Canyon einen natürlichen Tunnel, eine Art Stollen aus Gestrüpp und Mesquitesträuchern. Durch diese natürliche Röhre mußten sie auf Händen und Knien kriechen. Fred Gil hatte schon die Hälfte geschafft, als er spürte, daß ihm die Enge mehr denn je zu schaffen machte. Er glaubte, er müsse ersticken.
    An dem Abend war Renee Camacho von zwei Gangstern mit großen Knüppeln angegriffen worden. Nachdem die Barfer beide festgenommen hatten und durch diesen Gestrüpptunnel zu transportieren versuchten, sahen sie plötzlich am Ende des Tunnels fünfzehn Schatten, deren Stimmen den Cops befahlen, ihren socio freizulassen. Die ganze Zeit über, in der sie die schreienden Gefangenen durch die unübersichtliche, finstere Buschröhre zerrten, liefen die Schatten außen auf und ab. Schweißgebadet, blutig und vor Dreck stinkend prügelten sie auf ihre Gefangenen ein, um sie, während sie sie vorwärtszerrten, zur Räson zu bringen, und bei alledem hatten sie dauernd die Vorstellung, daß diese fünfzehn Gespenster jeden Augenblick über sie herfallen würden. Das Gefühl, daß gleich fünfzehn Messer und Macheten erst das Gestrüpp und dann sie zerhacken würden. Als es dann gerade so aussah, als ob die Schatten tatsächlich über sie herfallen wollten, hauten sie ab. Sie verschwanden ohne jeden Laut.
    Fred Gil war sich noch nie so klar darüber gewesen, daß er der älteste Barfer war. Er war sich noch nie so bewußt gewesen, daß ihm sein Mittelalter unmittelbar bevorstand. Er fing an, nach Leberflecken Ausschau zu

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