Die San-Diego-Mission
anschließend in Richtung Süden durch die Röhre gekrochen war. Natürlich wurden überall im E-2-Canyon Grenzgänger überfallen, aber die Drainageröhre befand sich genau in der Mitte von Locos Territorium und schien aus der Sicht des Gangsters der ideale Ort für einen Hinterhalt zu sein. Niemand von ihnen, Manny ausgenommen, konnte sich mit einem entsprechenden Plan befreunden.
Renee Camacho, der an diesem Abend dem Ensemble zugeteilt worden war, haßte den Plan schon in dem Moment, in dem Manny ihn beim Appell bekannt gab.
Manny sagte: »Die Grenze verläuft effektiv ein paar Zentimeter südlich des Südendes dieser netten kleinen Röhre. Was glaubt ihr, was wir heute abend machen? Wir setzen uns in die Röhre!«
Daß Renee Camacho so wenig begeistert war, lag hauptsächlich daran, daß er allein schon die Vorstellung verabscheute, in einer Röhre von bloß anderthalb Metern Durchmesser zu sitzen. Er verabscheute selbst die Vorstellung, in einer Röhre mit fünfzehn Metern Durchmesser zu sitzen. Genau wie Fred Gil haßte er es grundsätzlich, irgendwo eingeengt zu werden, aber wegen seines machismo verboten sich Äußerungen aller Art über was so Normales wie Angst von selbst, und so hielt er letztlich die Klappe und zog los.
Der Plan sah vor, daß die am Südende des Tunnels innerhalb der Röhre sitzenden Barfer in dem Augenblick rausspringen und ihren Kollegen vor dem Loch im internationalen Grenzzaun Deckung geben sollten, in dem sich von Norden, also von amerikanischer Seite her, Gangster bemerkbar machen sollten. Und umgekehrt.
Der Tunnel war genau sechs Meter und fünfundzwanzig Zentimeter lang. Manny Lopez hatte beschlossen, sich direkt an das südliche Ende zu setzen, also in dichtester Nähe des mexikanischen Gebiets. Eddie Cervantes saß einen Meter nördlich von ihm. Dann Tony Puente. Und Renee Camacho konnte Gott sei Dank ebenfalls am Ausgang sitzen, am Nordende. Trotzdem, drin war er auch. Er war eingeschlossen.
Carlos Chacon hatte aufgrund einer nachträglichen Überlegung den Befehl erhalten, sich wenige Meter nördlich der Röhre auf US-Territorium in einem Gebüsch aus wildem amerikanischem Beifuß zu verstecken, von wo aus er alle Gangster, die sich unter Umständen aus der Richtung näherten, rechtzeitig entdecken konnte.
Die Barfer erkannten im selben Moment, in dem sie ankamen, daß das Ganze absolut unzumutbar war. Die Röhre war voll von Müll, Scherben, faulem Urin und menschlichem Kot. Das sollte man sich bieten lassen? Und wenn ja, wofür? Die Chancen, daß sie Loco oder sonst einen hier schnappen würden, standen eins zu tausend. Manny Lopez wurde langsam wirklich verrückt. Aber Manny Lopez war auch der glücklichste Verrückte, der ihnen je über den Weg gelaufen war.
Draußen begann es zu dämmern. Das in diesen Canyons sowieso selten scharfe und klare Licht wirkte jetzt wie verstaubt, und man erkannte gerade noch einen Coyoten, der wie eine dumme Hauskatze sowohl dem eigenen als auch den anderen Schatten im Canyon nachjagte. Genau wie sie. Und dann ließen sie sich durch silberne Lichtbündel, die der Schmutz der nahe gelegenen übervölkerten mexikanischen Stadt eingetrübt hatte, verunsichern. Schönes, falsches Licht – das Licht vor dem Sturm. Und plötzlich war es dunkel.
Renee hatte das Schrotgewehr und das tragbare Funksprechgerät unter der Grenzgängerjacke versteckt. Jede Viertelstunde flüsterte er in das Gerät, alles sei ruhig. Trotzdem mußte er sich verdammt zusammenreißen, nachdem er derart mit seiner Klaustrophobie konfrontiert worden war. Er war in Schweiß gebadet und fror trotz der warmen Nacht. Er war, mit seinen eigenen Worten, ein Wrack.
Der Mond war inzwischen aufgegangen. Es war eine wunderbare Sommernacht – eine gute Nacht für die Gangster, wie Manny sich ausgerechnet hatte. Er zumindest hatte nicht den geringsten Zweifel, daß Loco sich zeigen würde. Wenn schon nicht am heutigen Abend, so doch bald. Er würde hier den ganzen Winter über sitzen bleiben, um Loco zu kriegen. Sie saßen seit halb acht in dieser stinkenden und schrecklichen Röhre, und nachdem ihre Beine eingeschlafen waren und ihre Nacken und Rücken zuerst weh getan hatten und dann taub geworden waren und dann wieder weh getan hatten, nahmen sie eine Sitzposition ein wie ein Baby im Mutterleib. Sie mußten andauernd die Finger bewegen, um die Blutzirkulation in Gang zu halten. Eklige pelzige Spinnen krochen an der Innenseite der Röhre entlang, und ein Schauer nach dem
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