Die San-Diego-Mission
Manny Lopez wurde mit einem einzigen Ruck aus seiner sitzenden Position hochgerissen und aus der Röhre gezogen. Und dann war er weg.
Nur ein sehr starker Mann kann so was schaffen. Manny flog durch die Nacht und krachte zwischen die Scherben und Steine und scharfkantigen Felsen. Von Loco persönlich gepackt und in einen Graben geschleudert, geschleift und geschmissen. Manny kam auf mexikanischem Boden zur Ruhe, in einer mondhellen und warmen mexikanischen Nacht, in der über ihm nur ein paar vereinzelte Wolken hingen.
Manny Lopez befand sich in folgender Situation: Ein Gangster, der links neben ihm stand, zielte auf sein Gesicht mit einem Gewehr, das sich als Attrappe herausstellte. Ein anderer Gangster stand vor ihm und zielte auf ihn mit einer sehr echten Pistole. Ein dritter Gangster stand rechts neben ihm und zielte auf ihn mit einem Gegenstand, der wie eine ebenfalls äußerst echte Handfeuerwaffe aussah. Und dann gab's da auch noch Locos Hand, die Mannys Revolverarm wie eine Bärenfalle umklammerte, und das Messer, das er in der anderen Hand hielt. Manny, in kniender Stellung, wurde also von vier Gangstern umzingelt, die auf ihn herabstarrten. Sie stanken allesamt schlimmer als Müll.
Nachdem Renee Camacho, Tony Puente und Eddie Cervantes inzwischen doch hellwach geworden waren und mitgekriegt hatten, daß Manny Lopez verschwunden war, hörte Renee, wie Manny mit seiner Grenzgängerstimme brüllte: »Tut mir nichts! Bitte tut mir nichts!«
Obgleich niemand genau weiß, was die vier Gangster in den nächsten zehn Sekunden vor dem Ausbruch der Hölle sahen oder dachten, kann man sich doch leicht vorstellen, daß ihnen dieser grün und blau geschlagene kleine Pollo reichlich komisch vorkam, wie er hier so hockte, von El Loco persönlich festgehalten wurde und dauernd: »Bitte tut mir nichts!« schrie, während die rechte Augenbraue immer höher rutschte, in Richtung Chula Vista.
Den übrigen Barfern kam es im Moment vor allem unglaublich und schrecklich, wenn nicht sogar entsetzlich vor, daß Manny Lopez von vier bewaffneten Gangstern bedroht wurde – und daß trotzdem offenbar er derjenige war, der sie genau dort hatte, wo er sie haben wollte.
Während Loco nach wie vor seinen Arm umklammert hielt, kam Manny mit der Hand endlich an seinen Gürtel. Im selben Moment riß er sich los, riß den Revolver heraus und schoß eine Salve von links nach rechts.
Renee Camacho hörte BOP BOP BOP BOP BOP! »AAA-AYEEEEEEEEEEEEEE!«
Manny schoß zuerst auf den Mann mit dem Gewehr. Als nächstes auf den Mann mit der Pistole. Dann auf Loco selbst. Dann noch zwei Schüsse auf den vierten Mann, der den nicht identifizierbaren waffenartigen Gegenstand trug. Dann war der fünfschüssige Revolver leer.
Eddie Cervantes war als erster draußen und schoß, und Manny schrie: »Barf Barf Barf Barf!«
Renee Camacho, der aus dem Nordende der Röhre kroch, schoß mit dem Schrotgewehr auf eine davonrennende Gestalt, und Carlos Chacon hörte KAPLOOM KAPLOOM! und sprang gerade noch zeitig genug auf, um zu sehen, wie auf mexikanischem Gebiet ein sich überschlagender Mann einen Abhang hinunter und in einen Graben stürzte.
Tony Puente kam aus der verdammten Röhre nicht raus, weil Renee Camacho immer noch mit dem Schrotgewehr feuerte und dadurch den Ausgang blockierte.
Tony hörte gedämpfte Pistolenschüsse und die Rufe von Eddie Cervantes: »In Deckung! In Deckung!«
Dann ließ Renee Camacho sein Schrotgewehr sinken und hörte fünf Pistolenschüsse: BOP BOP BOP BOP BOP!, und jemand schrie dauernd: »AAAAAYYEEEEEEEEEEE!«
Später an diesem Abend ereignete sich zweierlei. Zum einen schwankte in Tijuana ein Mann, dem ein großkalibriges Schrotgeschoß fast die Beine abgerissen hatte, in ein Hospital. Die judiciales lochten ihn ein. Zum anderen tauchte auf einer Gesellschaft, die in einem kleinen Haus in der Nähe der mexikanischen Grenze stattfand, uneingeladen ein Mann auf, dem jemand die Brust durchschossen hatte. Er dämpfte die festliche Stimmung erheblich, indem er mit blutverschmierter Brust krachend in den Patio stolperte und die Gäste zu Tode erschreckte, bloß, um dann wieder hinauszutaumeln und sich nie wieder blicken zu lassen.
Eddie Cervantes hatte auf einen Gangster gefeuert, den er dann eine längere Strecke nach Mexiko rein verfolgte, und bevor er schließlich kehrtmachte und wie der Teufel zurück in Richtung Grenze rannte, schoß er dem flüchtenden Räuber noch eine letzte Kugel nach.
Renee schrie: »Wo ist
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