Die San-Diego-Mission
menschlichen Gehirns imstande ist, Ereignisse vorauszuahnen, und wenn in der rechten Hemisphäre des Großhirns die Sensibilität ihren Platz hat und im linken Teil kritische und analytische Prozesse ablaufen, hatte Manny Lopez eine schwere Aufgabe vor sich: Sofern es ihm hinsichtlich des BARF-Experiments tatsächlich vor allem darum ging, seine eigenen bewußten und unbewußten Bedürfnisse zu befriedigen, mußte er den vorderen Hirnbereich seiner Leute und ihre linke und rechte Hemisphäre praktisch ausschalten. Manny mußte praktisch den Teil des Hirns erschließen, in dem die Aggression sitzt und in dem man vor allem die Impulse findet, einem Führer blindlings zu folgen. Man könnte diesen Teil allgemein als Keller des Gehirns bezeichnen. Und man könnte sagen, daß sie in dieser schlimmen Zeit buchstäblich in Mannys Keller wohnten.
Der vierzigjährige Chuey Hernandez war ein netter Mann. Sein goldener Schneidezahn, nach mexikanischen Vorstellungen ebenso ein Statussymbol wie eine Zahnprothese, glänzte hell, wenn er lächelte. Allerdings hatte er meist wenig zu lächeln, weil er eine ziemliche Schar von Leuten ernähren mußte, ein eigenes Kind, sieben Kinder aus der ersten Ehe seiner Gattin und dazu seine alte Mutter.
Er hatte in der mexikanischen Armee gedient, bevor er dann bei der Stadtpolizei von Tijuana anheuern konnte, und während des größten Teils seines Lebens als Erwachsener hatte er eine Uniform getragen. Immerhin verfügte er über eine abgeschlossene Grundschulausbildung.
Der derzeit bevorstehende Besuch von Präsident Lopez Portillo in Tijuana und die damit verbundene große Zeremonie in La Playa versprach so ziemlich das Größte zu werden, was Chuey je erlebt hatte. Chuey Hernandez war Kornettist in der Polizeikapelle. Er war bereits zwanzig Jahre Kornettist. Sein ganzes Leben lang hatte er sich für la banda de guerra begeistert, den Spielmannszug.
Chuey Hernandez fühlte sich sehr geschmeichelt, daß er nun dabei sein sollte, und als er am Nachmittag des 16. Juli zum Dienst kam, wollte er sich um die entsprechenden Vorbereitungen kümmern. Zunächst ließ er sein altes Horn von einem Jungen mit einer Poliermaschine putzen. Dann nahm er sich seine sonstige Ausrüstung vor. Seine Uniform war brandneu, aber als Chuey Hernandez seine Mütze aufsetzte, sah die doch reichlich unmöglich aus.
Die Mütze war völlig zerknautscht und zerdrückt, wie in einem dieser alten Luftwaffenfilme. Chuey Hernandez sprach mit einem Copkollegen, der erheblich schlanker war als er, jedoch dieselbe Kopfgröße hatte. Pedro Espindola sagte, er habe eine ganz neue Mütze zu Hause, die er ihm verkaufen könne, weil er im Dienst einen Helm tragen müsse. Dieser winzige Augenblick in seinem Leben sollte Pedro Espindola ewig leid tun.
Pedro Espindola ließ seinen Streifenwagen vor der Polizeistation stehen, und während sie dann beide in den Streifenwagen von Chuey Hernandez stiegen und zum Haus Espindolas in Zona Norte fuhren, machte sich Chuey Hernandez Sorgen um seine Oberlippe. Es hieß, daß die Oberlippe eines Kornettisten, der nicht täglich die Möglichkeit zum Üben habe, rasch einschlafen könne. So machte er sich Sorgen hinsichtlich der Vorstellung, daß seine Oberlippe ausgerechnet dann einschlafen würde, wenn er für den Präsidenten von Mexiko spielen durfte.
Starker Wind. Hin und her flatternde Schatten und ein geradezu stählernes Sonnenlicht. Raubvögel mit roten Schnäbeln wurden von dem starken Wind abgetrieben. Der sonst immer vorhandene Sommerdunst an der Grenze hatte sich aufgelöst. Das Ensemble und die Zweitbesetzung waren an diesem Abend zunächst zu einer Einheit zusammengefaßt und dann in zwei Gruppen aufgeteilt worden, die in so nahen Abständen operieren sollten, daß die eine die andere auch noch nach Sonnenuntergang sehen konnte. Manny Lopez, Tony Puente, Joe Vasquez und Joe Castillo bildeten die eine Gruppe, Ernie Salgado, Renee Camacho und Carlos Chacon die andere. Mannys Team befand sich in der Nähe der Stein-, Scherben-, Abfall- und Schutthaufen am nördlichen Ende der Drainageröhre, dort, wo die Röhre sich in der Regenzeit entleert. Die Erd- und Betonhügel boten ausreichend Deckung, und falls irgendwelche Gangster von mexikanischem Territorium aus einen Raubüberfall versuchen würden, hätten sie die Situation immer gut im Blick. Die zweite Gruppe, die bei dieser Operation den eigentlichen Lockvogel darstellte, lungerte derzeit am Grenzzaun herum und unterhielt sich mit
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