Die San-Diego-Mission
leuchtete die beiden Gestalten an. Sie wichen dem Lichtstrahl aus und duckten sich. Er würde sich zeitlebens an den einen erinnern, der eine Art Halstuch um den Kopf trug – ein cholo- Tuch , wie Chuey Hernandez sagte.
Chuey Hernandez war noch nie mit Pollos zusammengetroffen, die sich derartig benahmen. Sie hätten in der Dunkelheit ohne weiteres abhauen können, aber sie taten es nicht. Irgendwelche Grenzführer würden schon gar nicht so am Zaun herumlungern. Seine Erfahrung sagte Chuey Hernandez, daß es sich bei Leuten, die sich in dieser Weise am Grenzzaun herumtrieben, eigentlich nur um Grenzgänger-, Waffen- oder Drogenschmuggler handeln konnte. Oder allenfalls vielleicht noch um Räuber, die Grenzgänger ausplündern wollten. Chuey Hernandez rückte direkt bis zum Grenzzaun vor und richtete seine Waffe auf den Mann in der Levijacke, der sich das cholo- Tuch um den Kopf gebunden hatte.
Es war der Augenblick, in dem Renee Camacho den lauten Befehl von Chuey Hernandez hörte: »Kommt auf der Stelle hierher zurück!«
Und dann erhob sich Manny Lopez, der sich dieses Tuch bloß umgebunden hatte, um seinen wieder mal von Moskitos zerstochenen Schädel zu schützen, zu seiner vollen Größe und gab eine entgegengesetzte Erklärung ab. Er rief: »Lassen Sie uns doch in Ruhe! Wir haben kein Geld!«
Chuey Hernandez hatte allerdings gar nicht nach Geld gefragt. Die Erklärung sprach Bände. Sie zeigte ihm, was Manny Lopez von ihm hielt.
Chuey Hernandez war außer sich. Er sicherte und entsicherte seinen Revolver. Es war unheimlich still, und sie konnten die einzelnen Geräusche, das ölige metallische Klicken, als der Hahn wieder und wieder gespannt wurde, klar und deutlich hören. Chuey Hernandez kroch schließlich unter dem Grenzzaun durch und betrat den Boden der Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Die übrigen Barfer verließen die Deckung und schlichen näher heran, als Chuey Hernandez in den Graben stieg und seine Lampe voll auf Manny Lopez richtete, der jetzt auf einer höheren Ebene stand, oberhalb von Chuey Hernandez, und auf ihn hinabschaute.
Chuey Hernandez leuchtete kurz nach hinten, als auch Pedro Espindola vorsichtig an den Grenzzaun herantrat, eine schlanke Silhouette, die durch den Polizeihelm einen ungewöhnlich großen Kopf zu haben schien.
Mittlerweile erkannte Chuey Hernandez trotz der Dunkelheit deutlich mehrere andere Gestalten. Über ihm standen Manny Lopez und Joe Castillo. Etwas weiter weg hinter ihm und rechts von ihm waren Renee Camacho, Joe Vasquez, Tony Puente, Carlos Chacon und Ernie Salgado.
Chuey Hernandez war immer noch wütend, aber er hatte auch Angst. Er sagte: »Kommt mal raus, ihr Schweinehunde, oder ich hole euch mit 'ner Kugel raus!«
Und er richtete seine Waffe auf Manny Lopez, der neben dem entwurzelten Baum auf den Betonbrocken stand. Manny drückte Joe Castillos Kopf runter und flüsterte: »Bleib unten! Bleib unten!«
Die ziemlich überzogene Tapferkeit von Chuey Hernandez geriet ins Wanken, und er drehte sich zu Pedro Espindola um und sagte: »Die wollen nicht kommen!«
Sein Partner sagte: »Das wollen wir mal sehen, ob die kommen wollen oder nicht!«
Dann kletterte er mit Chuey Hernandez den Abhang hinunter, und Chuey Hernandez brüllte abermals: »Verdammte Scheißer! Ihr Arschlöcher! Kommt raus!«
Im amtlichen Bericht ist nachzulesen, daß sich Chuey Hernandez zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich etwa zwei Meter weit auf US-Territorium aufhielt. Pedro Espindola war nur etwa halb so weit von seinem Heimatland entfernt. Im amtlichen Bericht ist nachzulesen, daß beide im Staate Kalifornien, USA, waren, eine tödliche Waffe zur Schau stellten und von daher gegen Abschnitt 417 des Strafrechts von Kalifornien verstoßen hatten. Auf Verlangen der Anwälte wurde später amtlich festgestellt, daß auch gegen Abschnitt 467 des kalifornischen Strafrechts verstoßen worden war. Die Polizisten aus Tijuana hatten nicht nur tödliche Waffen, sondern auch die Absicht, sie zu gebrauchen. Vielleicht.
Ein Ermittlungsbeamter aus dem Büro des District Attorneys von San Diego warf in seinem Bericht später eine bemerkenswerte Frage auf. Die Frage des Ermittlungsbeamten betraf die Möglichkeit, daß sich jener Zwischenfall, der den Gegenstand der Untersuchung bildete, wahrscheinlich nicht ereignet hätte, wenn Manny Lopez sich zu diesem Zeitpunkt als Polizeibeamter ausgewiesen hätte. Es war klar ersichtlich, daß der Ermittlungsbeamte überhaupt keinen Nerv für Mythen und
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