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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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hatte, im Endeffekt jedoch stabil genug war, seine eigenen für sich zu behalten. Weil er nach Fred Gil der Älteste war, nannten sie ihn hin und wieder Pops und kamen mit dem einen oder anderen ihrer Probleme zu ihm. Niemand kam mit seinen Problemen zu Manny, weil sie sich klar darüber waren, daß er sich erstens für persönliche Probleme überhaupt nicht interessierte und ihm zweitens sowieso alles schnuppe war.
    Tony Puente hatte sein eigenes großes Problem, zusätzlich und neben allen normalen wie etwa der ständigen Angst, umgebracht zu werden. Hinsichtlich der Zuneigung seiner Frau hatte er den ungeheuerlichsten Nebenbuhler, den ein Mann je gehabt hatte – Gott. Sie verbrachte Nacht für Nacht mindestens zwei Stunden mit der Bibel, unabhängig von den vielen Zusammenkünften und Verpflichtungen wie dem Verteilen von religiösen Traktaten und anderen missionarischen Tätigkeiten in der Bannmeile von San Diego.
    Auf dem Höhepunkt all ihrer Debatten brachte sie ein unwiderlegbares Argument: »Weshalb willst du dich beschweren? Alles, was du machst, ist doch zum Dienst gehen, betrunken nach Hause kommen, den ganzen Tag schlafen und am Abend wieder zum Dienst gehen.«
    Joe Castillo sagte: »Sie war immer sehr nett zu uns, wenn wir Tony betrunken nach Hause fuhren. Sie machte uns Sandwiches mit Mettwurst und Senf. Genauso, wie's Gefängniswärter machen.«
    Tony, der betrunken nach Hause kam – an das und an nichts anderes würde sie sich für alle Zeit erinnern, wenn die Rede auf das BARF-Experiment kam.
    Dene Puente hatte sich einer Religion hingegeben, die ihren Anhängern die Unterdrückung des Selbst und das Ablassen von jeglicher Gewinnsucht verschrieb. Gerade das machte Tony wahnsinnig, denn als Mexikaner war sein Dasein ausschließlich darauf ausgerichtet, im Leben voranzukommen und all die materiellen Güter kaufen zu können, die die Familie brauchte oder sich wünschte. Aber er kam trotzdem nie auf den Gedanken, daß er besser eine andere Frau, eine Mexikanerin, hätte heiraten sollen. Es war sonnenklar für jedermann, der ihn kannte, wie abgrundtief er diese Frau liebte, die er bereits mit sechzehn geheiratet hatte.
    Der BARF-Job beherrschte alles, selbst dann noch, nachdem die Puentes Ärger mit einem halbwüchsigen Sohn gekriegt hatten. Es war nicht schwer, hinsichtlich der Erziehung des Jungen Fehler zu machen, wenn für den Vater die nächtliche Herumtreiberei draußen in den Canyons die einzige Realität zu sein schien.
    Und dann, nach Feierabend, erschien Tony auf der Bildfläche, nach den Canyons, nach Grenzgängern und nach abgestandenen Getränken stinkend, und zwar völlig betrunken, aber mit tausend Problemen belastet, die ihm im Kopf herumgingen, und erfüllt von Bedürfnissen aller Art. Und natürlich pennte sie, und er kam ins Grübeln.
    Er lag dann da und hatte nur den Wunsch, ihre ganzen Glaubensgenossen abzuknallen wie die Gangster. Nächste Weihnachten würde er einen Baum kaufen, der so groß war, daß man ihn mit einem Tieflader herbeitransportieren mußte. Er würde einen Kran beschaffen müssen, um ihn im Vorgarten aufstellen zu können. Er würde zu jedem Diakon, jedem Ältesten, jedem Vorsteher, jedem Priester oder wie sie die in ihrer Kirche immer nennen mochten, einfach »Da!« sagen. DA KÖNNT IHR MAL SEHEN, WAS ICH VON EINER RELI-GION HALTE, DIE NICHT MAL WAS FÜR WEIH-NACHTSBÄUME ÜBRIG HAT!
    Zunächst jedoch mußte Tony sich in solchen Nächten selbst beruhigen, weil er, wie schon seit jeher, schnell dazu neigte, vor lauter Frustration über sein Schicksal zu weinen. In seiner ruhigen Art war er nämlich immer schon ein äußerst gefühlvoller Mensch gewesen. Und was bot er seiner Ehefrau und den Kindern denn schon auch als Gegenleistung dafür, daß er ihnen ununterbrochen ihren Mann und Vater vorenthielt, indem er in den Canyons Nacht für Nacht einer seltsamen Faszination nachjagte?
    In dieser Zeit machte sich tief innerlich in seinem Herzen mehr und mehr eine überaus heikle und gefährliche Empfindung breit. Er redete mit keinem Menschen und ganz bestimmt nicht mit seiner Frau darüber, daß er gegen all seine Instinkte und Wünsche, na ja, auf dem besten Weg war, das, was sie tat, zu bewundern. Er hatte seinen eigenen Glauben an Priester und an die Kirche längst verloren, und jetzt spürte er da mit einemmal eine große Leere. Dene schien von ihrem Glauben restlos erfüllt zu sein, und er mußte sich nahezu zwangsläufig eingestehen, daß er sie in diesem

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