Die San-Diego-Mission
Chuey Hernandez in seiner Seelenqual. »Ich begreife das alles nicht!«
Als Manuel Smith ihm aber auch noch eine Aussage entlocken wollte, die die BARF-Behauptung stützen konnte, Gangster-Cops hätten sie gerade ausplündern wollen, fing Chuey Hernandez an zu schluchzen.
»Kein Mensch hätte geglaubt, daß das Pollos sind«, erklärte er. »Pollos wären abgehauen oder hätten mir gehorcht. Kein Pollo hat sich jemals so verhalten wie die. Ich habe einfach glauben müssen, sie seien Räuber!«
Anschließend fuhr Manuel Smith nach Süden, um den Fall mit der Polizei von Tijuana und den judiciales zu besprechen. Mit Leuten, die seine Freunde und nie anders als gut zu ihm gewesen waren. Er traf auf Deputy Chief Verber von der Tijuana-Stadtpolizei. Der Mann weinte.
Er sagte zu Manuel Smith: »Sieben eurer Leute? Mit kugelsicheren Westen und Schrotgewehren? Und meine beiden Beamten in voller Uniform in einem Streifenwagen? Und dann wird noch behauptet, meine Leute seien Gangster? Nachdem es sowieso immer heißt, wir seien allesamt Ganoven? Ich versteh das alles nicht.«
Gleich nach jener Nacht aber schien den US-Behörden in bezug auf die Mexikaner einzig und allein die Frage von Bedeutung zu sein, ob Chuey Hernandez ungefähr gut eine Körperlänge weit nördlich der imaginären Linie oder etwa eine Körperlänge weit südlich von ihr gestanden hatte. Und welchem Muskel am Zeigefinger welches bewaffneten Polizeibeamten von der linken Gehirnhälfte das Signal gegeben worden war oder nicht, einen metallenen Abzug zu betätigen. Und ob oder ob nicht der unaufgefordert ausgesprochene Satz von Manny Lopez – »Wir haben kein Geld« – dazu hatte dienen sollen, Chuey Hernandez in Versuchung zu führen, oder ob damit die Absicht verfolgt worden war, die bereits vorhandene böse Idee eines Raubüberfalls im Hirn von Chuey Hernandez zu verifizieren. Oder ob sie etwa einen schon verärgerten Polizeibeamten, der bereits durch ein bestimmtes verwirrendes Verhalten provoziert worden war, höllisch beleidigt hatten.
Aber wenn man weder einen juristischen Grad erworben hatte noch an den logistischen Problemen imaginärer Linien, neurologischen Signalen, dem kodifizierten Recht voller Widersprüche oder kulturellen Verhältnissen wie beispielsweise mordida interessiert war, konnte man das Ganze durchaus so lakonisch wie Joe Castillo zusammenfassen: »Es roch von vornherein nach Pulverdampf!«
Und das war's dann eigentlich. Manny hatte ein paar miese Cops fertiggemacht. Er hatte inzwischen schon oft seinen Colt gezogen, wenn andere Leute die Kanonen auf ihn richteten, was außer im Spielfilm die meisten Gesetzeshüter nie oder allenfalls ein einziges Mal tun müssen. Eine Situation, vor der im Verlauf der polizeilichen Ausbildung dauernd gewarnt wird. Er war öffentlich gefeiert worden, als die Verkörperung des Helden einer amerikanischen Legende, den es, außer auf Zelluloid, vielleicht nie gegeben hatte: den hartgesottenen Revolverhelden und Gesetzeshüter, der sofort zieht, wenn sich die Kanonen der Bösen auf ihn richten. Und die schnellste Kanone hat nicht bloß immer recht; die schnellste Kanone gewinnt im Westen immer noch alle Herzen.
Es wäre sinnlos, die Storys zu zählen, die über diesen einen Fall geschrieben wurden. Die Barfer hätten die Zeitungsartikel, die derzeit über sie erschienen, höchstens noch wiegen können. Es wäre im Grunde nur noch zu sagen, daß der Bürgermeister von Tijuana sich letztlich an die Öffentlichkeit wenden und die Medien beider Seiten bitten mußte, die Schießerei an der Grenze zu vergessen. Aber die Barfer waren gar nicht imstande, sie zu vergessen. Sie wurden von Alpträumen heimgesucht und waren erfüllt von unterschiedlichsten Gefühlen. Sie fragten sich, ob nicht bald einer einen Flughafen nach Manny Lopez benennen würde.
Ken Kelly hatte an diesen Abend einige unauslöschliche Erinnerungen. Erstens war da dieser Herzinfarkt, den er und Robbie Hurt, wie sie glaubten, hundertprozentig erlitten hatten, als sie wieder mal Schüsse im Dunklen hörten. Diesmal hatte es sich angehört wie Krieg. Und sich dann das atmosphärisch gestörte Geschrei über Funk anhören zu müssen und eine Minute oder ein Jahr lang nicht zu wissen, was wo passierte, und zum Schluß bloß dem Echo der Explosionen nachjagen zu können. Das Hilfsteam, aus den Outsidern Ken Kelly und Robbie Hurt bestehend, hatte niemals, aber wirklich niemals die Erleichterung kennengelernt, die die anderen dadurch
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