Die San-Diego-Mission
plus, die er sich in seiner Zeit als Barfer angesoffen hatte, dabei gewesen wäre, hätte er sicherlich sehr leicht einer der mehr als vierzig Polizeikugeln in die Quere kommen können, die durchs Gelände gezischt waren, ohne zum Glück zuviel Schaden anzurichten. Vielleicht wäre er derjenige gewesen, den es an dem Abend da draußen erwischt hätte.
Er mußte überhaupt oft an Kugeln, die keinen Schaden angerichtet hatten, an blitzende Messer, die die Schlagader eines Menschen nur knapp verfehlt hatten, und an andere Dinge denken, die einen verrückt machten. Genau wie Eddie konnten auch alle anderen bloß höhnisch lachen, wenn ein Reporter, der die Baseballendrunde kommentierte, wieder mal auf das unvermeidliche Klischee zurückgriff: »Baseball ist ein Spiel, bei dem es um Zentimeter geht.« Die hatten's weiß Gott nötig, einen solchen Scheiß über ein Spiel zu reden, bei dem es um Zentimeter geht.
Eddie Cervantes mit seinen traurigen, stets nach unten gerichteten Augen und seinem Tex-Mex-Singsang hatte immer genug machismo und Wut im Bauch, um sich mit Manny Lopez anlegen zu können, und er tat's denn auch ununterbrochen. Über jede winzige Kleinigkeit. Er benutzte dauernd das Wort okay, und das hörte sich dann so an: »Okay, Manny, es macht mir nichts aus, daß ich alles verkehrt mache, okay, und weil ich der Kleinste bin, meckert da draußen in diesen Bergen sowieso jeder an mir rum, okay, und ich mein, ich mach ja da draußen auch ne Menge Scheiße, okay, aber 'n Sinn hat das nie, was wir da draußen machen, okay, weil's nämlich gar keinen Sinn hat, für den Quatsch zu sterben, denn das weiß ja sowieso keiner zu würdigen. Okay?«
Darauf pflegte Manny Lopez ihn zu fragen: »Was soll das? Biste bescheuert?«
»So, glaubste?« sagte Eddie Cervantes, der sich immer mehr in seinen Zorn hineinsteigerte. »Okay, bloß, weil du Sergeant bist, hab ich's ja wohl noch lange nicht nötig, diese Scheiße okay zu finden. Du bist in meinen Augen ein echtes Arschloch. Okay?«
»Wie du meinst, aber für mich biste 'n echter Arschficker, wenn du deine Arbeit nicht anständig machst«, antwortete Manny Lopez.
»Also schön, wenn du meinen Arsch mal ausprobieren willst, kannste's ja versuchen«, sagte Eddie Cervantes.
Und spätestens dann gingen alle dazwischen und machten der Sache ein Ende, denn wenn sich tatsächlich mal jemand hinreißen lassen würde, Manny zu verprügeln, wär's ungefähr dasselbe, als wenn er den Papst verprügeln oder so was Ähnliches tun würde, und dann hätte wahrscheinlich auf der Stelle ihr letztes Stündlein geschlagen.
Manny pflegte dann noch zu sagen: »Wenn einer 'n schwuler Lutscher oder 'n Arschficker ist, kann er gerne hierbleiben! Ich geh jedenfalls raus und mach ne richtige Nummer! Außerdem weiß ich ja, daß die Eier von Eddie Cervantes bestimmt so dick sind wie der Arsch von Carlos Chacon, und darum geht Eddie bestimmt direkt neben mir!«
Und daraufhin senkte Eddie Cervantes seine stets nach unten gerichteten Augen noch tiefer und sagte: »Okay, geh'n wir raus und machen ne richtige Nummer. Okay.«
»Du verdammter Widder. « Manny Lopez grinste, als er letztlich seinen Arm um den kleinsten Barfer legte, weil Eddie am 4. April und Manny am 3. April geboren worden war, allerdings zwei Jahre früher. »Ich hab's doch gewußt, daß du nicht in 'n Sack haust.«
Und so zogen sie dann los, einmal mehr in eine wunderschöne Nacht südlich der imaginären Linie. Eines Abends, als die Zweitbesetzung einen solchen Fischzug unternahm, hörten sie einen unheimlichen Schrei aus ein paar Hütten auf einem Hügel in Colonia Libertad. Es hörte sich an, als käme dieser Schrei von La Liorona, einer weinenden Frau aus einer alten mexikanischen Legende, die nachts durch die Lande streift und ihre Kinder sucht. Unter Umständen, überlegten sie, könnte ja auch Chano B. Gomez junior derjenige gewesen sein, der vom oberen Fußballfeld herab geschrien hatte.
Es war eine geisterhafte Stimme, und sie blieben wie angewurzelt stehen. Dann verklang der unheimliche Schrei. Angst wehte und klapperte durch den Canyon wie dürre Mesquitesträucher. Man hörte nur noch ganz entfernt Stimmen in der Dunkelheit: Männer, Frauen, Babys, Hunde.
Dann eine Stimme wie ein Messer, das sich durch Eingeweide wühlt. Alle zuckten zusammen und duckten sich. Alle sahen automatisch nach Süden, als ob dort gleich der Schatten des Todes auftauchen würde. Wessen Stimme war das? Die eines Gangsters, eines
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