Die San-Diego-Mission
ziemlich mies, nachdem ich gekündigt hatte«, sagte Fred Gil. »Sie ließen mich ziemlich links liegen. Die anderen hatten nicht gekündigt. Und als ich dann die eine oder andere Geschichte las, die sie erlebt hatten, fühlte ich mich echt mies und meinte, ich hätte sie einfach nicht sitzenlassen dürfen. Ich war ganz schön sauer auf mich selber wegen der Kündigung.«
Der alte Fred Gil – siebenunddreißig Jahre alt, Judochampion, Vietnamveteran, Überlebender von BARF mit einer Kugel in der Hüfte – war der Überzeugung, er habe letztendlich bloß bewiesen, daß der Mann recht gehabt hatte. Der Mann, sein Vater, der ihn gar nicht aufgezogen hatte. Er hatte gekniffen. Der alte Fred Gil fragte sich, ob er nicht immer noch ein Muttersöhnchen war.
Renee Camacho war an dem Abend, an dem er einen der Gangster aus Locos Bande angeschossen hatte, gar nicht erst nach Hause gekommen. Er rief Sharlynn an und sagte: »Ich kann noch nicht nach Hause kommen.«
Sie sagte: »Renee, komm doch nach Hause und laß uns drüber reden.«
»Ich kann's noch nicht«, sagte er. »Ich kann wirklich noch nicht nach Hause kommen.«
Sie sagte, sie könne es verstehen. Sie sagte, er möge kommen, wenn er soweit sei.
»Sie war eine phantastische Frau«, sagte er. »Eine phantastische Copfrau.«
Renee Camacho fuhr zu einem Freund und Kollegen, der in El Cajon wohnte, aber auch da fand er keine befriedigenden Antworten auf die Fragen, die er stellte, als er und der Freund am Küchentisch saßen und den ganzen Abend noch mal Revue passieren ließen.
Renee Camacho meinte zu seinem Freund: »Mir war echt zumute, als wenn ich umgelegt worden wäre. Und erstens hatte ich deshalb Angst, und zweitens hatte ich einen mit dem Schrotgewehr angeschossen und wußte nicht, ob er tot war, und dabei fühlte ich mich sogar noch gut. Und … und das ist nicht gut! Das ist das Allerschlimmste an der Sache. Und nachdem ich ihn angeschossen hatte, war er weg vom Fenster, und ich lief hin und holte meinen Achtunddreißiger raus und wollte ihn finden und ihm noch 'n paar mehr verpassen und ihn endgültig umbringen, und jetzt bin ich wütend und hab schreckliche Schuldgefühle deswegen und …«
Der Freund war bei den Green Berets in Vietnam gewesen und versuchte, Renee klarzumachen, daß die Wut und die Schuldgefühle normal seien. Aber mit den weiteren Fragen wurde auch er nicht so leicht fertig.
Renee sagte: »Aber mach ich denn da überhaupt was Vernünftiges? Lohnt sich das alles? Ist dieser ganze Job, den wir da machen, überhaupt was Gutes? Bin ich da auf einem Macho-Trip, oder was eigentlich? Sollt ich nicht einfach wieder als ganz normaler Cop arbeiten und sicher sein, daß ich was Vernünftiges mach? Ist es das eigentlich wert? Warum bin ich überhaupt da draußen und mach so was?«
Renee Camacho sehnte sich buchstäblich nach Gewissensbissen, aber er hatte keine. Seine Wut und die Vorstellung, daß er dem Mann, den er angeschossen hatte, seine kurzläufige Kanone ins Gesicht rammte und fünfmal abdrückte, standen ihm dabei im Weg.
Und dann stellte sich der Mann mit dem Knabentenor die allerschwierigste Frage: Bin ich im Begriff, einiges über mich selbst zu erfahren, was ich besser nicht erfahren würde? Wer bin ich wirklich?
An einem solchen Tag, an dem sowieso alles aus dem Lot war und er sich wie eine Schallplatte fühlte, die mit verkehrter Geschwindigkeit abläuft, erschien einer seine Exfreunde vom Streifendienst in der Substation und sagte: »War ne Mordsarbeit mit dem Strolch, den du gestern abend angeschleppt hast. Ich glaub, der brauchte ne Transfusion, so haste den zusammengeschlagen. Ich hab mich echt gefragt, ob ich da nicht ne Anzeige machen müßte, aber ich stell mir vor, ihr Glückspilze von BARF braucht euch ja sowieso nicht um die Vorschriften zu kümmern, oder?«
Eines Tages sah Herbert Camacho seinen von Selbstzweifeln zerrissenen Jungen, der ihn wieder mal in seinem Friseurladen besuchte, besorgt an und sagte: »Du solltest diesen Job bloß machen, wenn du an die Sache glaubst, Renee. Du hast vielen Leuten geholfen, denen es sonst dreckig gegangen wäre. Aber entweder mußt du an das glauben, was du machst, oder die Sache beenden.«
Renee Camacho liebte diesen Mann, der wahrscheinlich schon sehr bald tot sein würde. Renee erklärte seiner Frau: »Vater glaubt, daß ich mutig bin. Ich muß also für meinen Vater mutig bleiben.«
Er blieb bei BARF. Und an einem wunderschönen Abend schon gegen Ende des Sommers,
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