Die San-Diego-Mission
dem es um Zentimeter ging. Aber die Gewinnchancen in diesem Wahnsinnsspiel würden bestimmt nicht besser. Und weiß der Teufel, was passieren würde, wenn es Manny plötzlich unbewußt in den Kopf käme, das Gebet eines Spielers zu sprechen, der anders nicht mehr aufhören zu können glaubt: Lieber Gott, laß mich … verlieren. Sie würden alle mit ihm verlieren!
Manny Lopez erzählte ihnen die Geschichte, daß er selber auch mal Angst gehabt hatte. Er sagte ohne ersichtlichen Anlaß, er sei eines Abends nach mehreren freien Tagen und dazu mit einer nagelneuen kugelsicheren Weste und sogar noch üppiger bewaffnet als sonst durch einen Canyon gegangen und habe plötzlich gesehen, wie vor ihm eine große Gruppe von Grenzgängern aufgestanden sei, als ob sie aus der Erde selbst gekommen wäre. Manny sagte, die Gruppe habe aus mindestens fünfzig oder sogar noch mehr Leuten bestanden, und die Menschen seien mit einemmal einfach dagewesen und seien ihm auch noch entgegengekommen.
Manny sagte, urplötzlich hätten seine Knie zu zittern begonnen. Er habe wie die Grenzgänger zwei Hosen angehabt, und die Beine hätten ihm so gezittert und seien so wacklig gewesen und hätten einzuknicken gedroht, daß er stehenbleiben und zu Boden gucken mußte, weil er bange war, Tony Puente und Eddie Cervantes könnten was merken. Er sagte, er habe gedacht, er werde wegen dieser zitternden, eingeknickten und wackligen Beine verrückt werden. Er sagte, daß seine Beine erst wieder stabil geworden seien und er in der Lage gewesen sei weiterzumarschieren, nachdem die Grenzgänger schweigend vorbeigestapft waren. Er sagte, ihm sei noch nie so miserabel zumute gewesen, und er könne sich nicht vorstellen, wie das passieren konnte. Er habe ihnen die Geschichte erzählt, um zu illustrieren, daß sie sicherlich nicht jeden Abend Angst haben müßten, bloß weil sie mal an einem bestimmten Abend Angst gehabt hätten.
Ken Kelly sagte privat, die Geschichte illustriere lediglich, daß Manny Lopez gelegentlich auch mal einen lichten Moment habe. Er war inzwischen felsenfest davon überzeugt, daß der BARF-Sergeant geisteskrank war. Kurz darauf jedoch sagte Manny Lopez prinzipiell dasselbe über Ken Kelly, nämlich, daß sie bloß mal darauf achten müßten, welche Ausfälle Ken Kelly oft habe, um Bescheid zu wissen.
Das Ergebnis von Mannys Geschichte war, daß kein einziger Barfer sie glaubte. Deshalb nicht glaubte, weil er sich nicht vorstellen konnte, sein Anführer sei jemals zu diesem Gefühl des Entsetzens und der Angst, im nächsten Moment ermordet zu werden, fähig gewesen, von dem sie alle ständig mit der Wucht einer mittleren Explosion überfallen wurden. Dieser Unglaube wiederum trug mehr als alles andere dazu bei, ihre Angst noch zu vergrößern. Ihre Angst vor ihm.
Renee Camacho sagte: »Der Mann hatte irgendwas an sich. Du warst automatisch überzeugt, daß er dich todsicher irgendwie kriegen würde, wenn du ihm in die Quere kommen würdest. Vielleicht nicht jetzt, vielleicht erst später. Er war ein geborener Einschüchterer. Manny, der Einschüchterer. Du hast dir dauernd über die Schulter geguckt und dich gefragt: Was hat der Bursche nun schon wieder im Sinn?«
Es war einfach für Manny, mit seinem Protegé Joe Castillo klarzukommen, selbst nachdem der junge Cop aus Ernüchterung über Mannys Methoden keine Goldkettchen und auffälligen Ringe und Diskoklamotten mehr trug. Als Joe Castillo in einer ihrer Kneipen mal ein paar zuviel intus hatte und drohte, er werde kündigen, sagte Manny lediglich: »Okay, das kannste haben. Ab morgen machste wieder Streifendienst.«
Für ein halbes Dutzend Ohren in dieser Kneipe wären solche Worte vielleicht Musik gewesen, aber für Joe Castillo brach krachend die Welt zusammen. Der junge Cop fragte: »Wie willst du mich denn so schnell ersetzen?«
»Kümmer dich nicht drum«, sagte Manny. »Ne Menge Burschen sind ganz scharf auf BARF.«
»Aber ich bin von Anfang an dabei!« brüllte Joe Castillo, und dann mischten sich mehrere andere betrunkene Stimmen ein und sagten: »He, Manny, bist du denn überhaupt nicht loyal zu deinen Leuten?« Oder: »Du kannst Joe doch nicht einfach fallenlassen!« Und so weiter.
Ganze fünf Minuten später war Joe Castillo unermeßlich erleichtert, daß er nach wie vor bei BARF war, und Manny hatte beide Arme um Joe und Renee gelegt und sagte: »Ich liebe euch Jungs!«
Und Ken Kelly sagte: »Ich frag mich, welche Backgroundmusik zu dieser Love Story passen
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