Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
Vom Netzwerk:
Dreizehnten und Market Street Streifendienst gemacht.
    Der ältere Mann hatte den großen Lieutenant immer sehr gemocht, und er erzählte Renee, Dick Snider habe die mexikanische Kultur immer sehr simpatico gefunden. Der Friseur wußte es zu schätzen, wenn Snider ihn nach mexikanischer Art umarmte und ihm ohne Scheu sogar einen Kuß gab. Aber er hatte auch seine Bedenken.
    »Glaubst du nicht, daß es dort draußen sehr … gefährlich ist?« fragte er Renee, sein einziges Kind.
    Und eines Abends, als der Friseur seinem Nebenjob nachging und in einem Alkoholausschank als Kellner arbeitete, schneite Dick Snider rein, um auf dem Nachhauseweg ein Bier mit ihm zu trinken. Dick Snider war reichlich überrascht, als Herbert Camacho unvermittelt zu ihm sagte: »Paß da draußen bloß auf meinen Jungen auf!«
    »Na sicher paß ich auf ihn auf«, versprach Dick Snider dem Friseur. »Ich paß auf sie alle auf!«
    »Verdammt, keiner von den Jungs trägt ne kugelsichere Weste!« Tony Puente wiederholte es tausendmal in diesen Tagen, in denen sich die Task Force formierte.
    »Ich werde dir eine kugelsichere Weste kaufen!« sagte seine Frau Dene hartnäckig.
    »Ich werd sie nicht tragen.«
    »Bist du denn blöd?«
    »Ich werd sie nicht tragen!«
    »Willst du sterben?«
    »Die anderen Jungs lachen.«
    »Die anderen Jungs … lachen?«
    Wenngleich sie »weiß« war, wußte sie, welche Rolle bei den Männern mexikanischer Herkunft der machismo spielte. Es mochte ja sein, daß sie in den Augen derer, die südlich der Grenze wohnen, gar keine richtigen Mexikaner waren, aber die machismo- Regeln waren beiderseits der imaginären Linie nach wie vor sehr lebendig.
    Sie blieb hartnäckig. Er blieb stur. Sie kaufte die Weste. Er wollte sie nicht tragen. Sie rief daraufhin bei seiner Mutter an – »eine typische mexikanische Drachenmutter«, wie er sie nannte –, und dann ging das Geschreie und Gekreische erst richtig los.
    »Du wirst gefälligst diese kugelsichere Weste tragen!« befahl seine Mutter.
    »Ich werd die verdammte Weste nicht tragen!«
    »Dann hoff ich bloß, daß du erschossen wirst!«
    »Also eher laß ich mich erschießen, bevor ich das Ding anzieh'!«
    Und so weiter. Zum Schluß sagte seine Mutter, es wolle ihr einfach nicht in den Kopf. Trotzdem wolle er sich eher erschießen lassen als das Ding tragen, sagte er. Das alles ereignete sich gleich in den allerersten Tagen des Experiments. Er hatte wenig Ahnung, wie es ist, wenn man erschossen wird.
    Als alles ohne Erfolg blieb, weinte seine Frau. »Du darfst nicht sterben und mich mit den drei Kindern allein lassen! Du mußt sie tragen!«
    Und das zeigte Wirkung bei ihm. Schweren Herzens lenkte er ein. Er war seit jeher der Ansicht, daß er ihr die Jugend gestohlen hatte. Dene war erst fünfzehn, als sie heirateten. Er war achtzehn und beim Marinecorps.
    Es kam ihm sowieso immer so vor, als habe er andauernd auf Frauen hören und sich von ihnen herumkommandieren lassen müssen. Er war das älteste Kind und hatte noch fünf Schwestern. Keiner hatte je gemerkt, was für ein heller Junge er war. Er war ein eher schüchterner und leise sprechender Typ. Er ging von der High School ab, bevor er siebzehn war, und benötigte für seinen Eintritt ins Marinecorps das schriftliche Einverständnis seiner Mutter. Er konnte es nicht abwarten, von zu Hause wegzukommen, fort von seinem Alkoholikervater, der ihn dauernd in peinliche Situationen versetzte. Dieses Gefühl empfand er in seiner Situation als das schlimmste, weil es sich auch noch mit Schuldgefühlen und Gewissensbissen vermischte. Der alte Herr pflegte ihn dauernd in Verlegenheit zu bringen, wenn er sich die Baseballspiele der Nachwuchsrunde ansah, wo sein Sohn für eine vom San Diego Police Department geförderte Mannschaft spielte. Das Team wurde von Police Detectives gemanagt, und der junge Tony Puente stellte sich auf dem Spielfeld immer wieder vor, daß sie den betrunkenen Mann, der auf der Tribüne saß und ihm zujohlte, mittlerweile wahrscheinlich wieder mal eingesperrt hatten. Immerhin war der Alte bereits von zahllosen Polizisten wegen Trunkenheit eingebuchtet worden. Tony Puente ließ sich jedenfalls sein ganzes Leben lang sehr schnell in Verlegenheit bringen, und er hatte immer sehr rasch Gewissensbisse.
    Das Marinecorps war trotz allem keine Zuflucht. Er wußte in der Tat nicht, was er machen sollte, als 1962 die Kuba-Krise ausbrach. Die Marines sollten nach Guantanamo verlegt werden! Er konnte es kaum erwarten.

Weitere Kostenlose Bücher