Die San-Diego-Mission
beziehungsweise, an einem Abend wie diesem, auf den einen oder anderen Drink direkt ins Anchor Inn zu fahren. Niemand trank Bier an diesem Abend; was sie dringender brauchten, waren harte Tequilas mit allem Drum und Dran.
Renee Camacho war totenbleich, und Tony Puente fluchte ununterbrochen. Manny Lopez, der auf der Substation zu tun hatte, war die Zielscheibe jeder Obszönität, die jemals in englischer oder spanischer Sprache erfunden worden war. Sie waren sich einig, daß es definitiv an der Zeit sei, was zu unternehmen.
Sie kamen zu der Überzeugung, daß es für das Ganze nur eine einzige ebenso logische wie fürchterliche Erklärung gebe, und zwar die, daß Manny froh gewesen sei, als der Hubschrauber mit seinem Lärm die Aufmerksamkeit aller erregt habe. Im Grunde nämlich habe er, wie sie meinten, nur den einen dringenden Wunsch, daß noch mehr Cops aus Tijuana zu einer neuen grandiosen Schießerei rüberkommen würden. Das hörte sich alles zwar sehr verrückt an, aber schließlich war hier ja wohl einiges verrückt.
Normalerweise gingen sie jeweils nach dem Ende der Schicht noch mal eben ins BARF-Büro, wo Manny dann gewöhnlich die eine oder andere Order für den nächsten Einsatz auf die Tafel geschrieben hatte. So trudelten sie letztlich auch heute ein, allerdings mit roten Augen von den harten Tequilas mit allem Drum und Dran und völlig versandet durch den Wirbelsturm, den der Hubschrauber entfesselt hatte. Auf Tony Puente, den Ältesten, war das Los gefallen.
Er war ein ruhiger Kunde, der sich nie sonderlich gesprächig gab, und vor Manny hatte er natürlich genauso Angst wie alle anderen.
Als Manny fragte: »Gibt's sonst noch was?«, womit er seine Leute normalerweise entließ, nahm Tony Puente die Brille ab, wischte sie nervös ab, setzte sie wieder auf, seufzte einige Male tief und sagte: »Yeah, Manny, da ist noch was. Mach mal die Tür zu.«
Aber Tony Puente konnte offenbar die Kurve nicht kriegen, als er das, was sie ihm aufgetragen hatten, vorbringen wollte. Argumente wie beispielsweise: »Diese Scheiße stinkt uns allmählich!« Oder: »Wir sind's leid, für deine Schlagzeilen unseren Arsch zu riskieren!« Oder: »Wir haben jetzt restlos die Schnauze voll!«
Es war einfach nicht Tonys Stil. Er begann zögernd und diplomatisch. Er sagte: »Manny, die Sache ist hart für uns. Ich weiß nicht, wie ich's ausdrücken soll, aber wir haben uns gedacht …«
»Ja, dann sag's doch«, sagte Manny.
»Na ja, wir haben das Gefühl, daß wir manche Dinge einfach nicht machen sollten, weil wir dabei ganz schön auf die Fresse fallen könnten. Und so was wie heute abend, mit diesem Hubschrauber … also, wir haben darüber geredet, und wir meinen, wir müssen da oft ne Scheiße machen, die völlig überflüssig ist, und …«
»Unsere ganze Tarnung ist von dem Hubschrauber weggeblasen worden!« sagte Eddie Cervantes.
»Da gab's nämlich absolut keinen Grund, da liegenzubleiben und sich für die Tijuana-Cops anstrahlen zu lassen!« sagte Ernie Salgado.
»Da kommt kein Grenzgängerräuber mehr hin, der nur noch 'n Funken Verstand hat, nach dem, was da heute los war!« meinte Eddie Cervantes.
»Was wollen wir da eigentlich, etwa noch 'n paar Tijuana-Cops in die Falle locken?« sagte Ernie Salgado.
»Meine Frau ist schwanger«, sagte Renee Camacho.
»Meine Frau ist schwanger«, sagte Ernie Salgado.
»Also, ich laß mich wegen so was nicht umlegen«, sagte Eddie Cervantes. »Ich will noch erleben, wie meine Kinder groß werden.«
Nicht alle griffen so offen an. Die Jüngeren – Joe Castillo, Carlos Chacon, Robbie Hurt – murmelten nur rum. Big Ugly, Joe Vasquez, sagte gar nichts, aber selbst er nickte zustimmend. Manny Lopez konnte sehen, daß sie im Begriff waren, ihre Ketten zu sprengen.
Zunächst aber hatten sie ihr Pulver verschossen. Alle wurden sehr still und sahen, daß Mannys Braue bis Point Loma gekrochen war. Manny stellte sich in »Sabes-Que?«- Positur . Alle kniffen den Arsch so fest zu, daß nicht mal ein Sandfloh hätte reinkriechen können, was ansonsten in den von Ungeziefer wimmelnden Canyons gelegentlich durchaus schon mal einer geschafft hatte.
Sie rechneten mit dem Schlimmsten. Würde er sich die Leute einzeln vornehmen? Was würde er ihnen sagen? Ich will ja gern im Einsatz sterben, aber sag bitte, bitte nicht mehr Schwuler zu mir!
Dann aber rutschte Mannys Augenbraue wieder nach unten. Er bekam einen Blick melancholischer Resignation wie ein Henker, ein
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