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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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amerikanische Baseballmeisterschaft gewonnen. Er sagte sich, Carlos sei in der Tat noch bekloppter als Manny Lopez. Er traf Joe Vasquez, der aussah, als ob er Ärger hätte. Manny Lopez befahl Ken Kelly, im Krankenhaus nachzugucken, was aus dem in den Kopf geschossenen Gangster geworden war.
    Ken Kelly konnte sich den Zutritt zur Intensivstation erst nach langem Diskutieren erzwingen. Er blieb dann vier Stunden da. Er hatte bis dahin effektiv noch nie jemanden sterben sehen. Nach einiger Zeit ließ man ihn und eine Krankenschwester alter Schule, die ein gestärktes Häubchen trug, mit dem Patienten allein.
    Ken Kelly fand unvermittelt alles hochinteressant. Der gesamte Kopf des Gangsters war verpackt. Nur das Gesicht war zu sehen. Er war ein gutaussehender Bursche, etwa in Kens Alter. Seine Arme waren voller Tätowierungen und Einstiche, die auf Heroin schließen ließen. Sowohl dieser Gangster als auch der andere hatten sogar im Genick Einstiche. Aber er sah ungemein kräftig aus. Ken starrte ihn an und dachte, daß er höchst ungern mit ihm kämpfen würde.
    Hin und wieder schnappte der Gangster nach Luft und stöhnte. Er hing an einer Maschine, die seine Werte kontrollierte: Blutdruck, Puls, Atmung. Die Krankenschwester saugte aus seinem Hals ausgetretene Hirnmasse ab.
    Es war interessant zu beobachten, wie sich Puls, Blutdruck und Atmung entwickelten. Der Organismus des Patienten kämpfte ums Überleben.
    »Sein Blutdruck ist super«, beobachtete Ken Kelly. Aber er hatte einen Puls von hundertachtzig, der weiter anstieg. Dann sagte Ken Kelly: »Können wir denn gar nichts für ihn tun?« Er ließ den Patienten nicht aus den Augen.
    Der Patient trug ein Kreuz um den Hals, und das gefiel Ken Kelly, dem als aufrechtem Lutheraner ja auch keine Frauen gefielen, die den Teufel anbeteten. Das Sterben des jungen Mannes machte ihm sehr zu schaffen.
    Die Krankenschwester sagte: »Kippen Sie mir nicht um, denn im Moment ist kein Arzt da. Der Mann hat irreversible Gehirnschäden. Sein einziger Nutzen für die Menschheit würde darin bestehen, daß das Herz und die Lungen sehr gut sind. Wenn wir die Erlaubnis hätten, könnten wir seine Organe entnehmen. Er ist jung und kräftig.«
    Da wurde Ken Kelly sowohl wütend als auch traurig, und er sagte sich: Dieser blöde Hund. BARF hatte an dem Abend im Grunde gar nicht die Absicht gehabt, in die Canyons zu gehen; deshalb hatte Ken Kelly ja auch dienstfrei gehabt. Dieser unglückliche, blöde Hund.
    Außerdem dachte Ken Kelly: Sein Herz und seine Lungen sind gut. Und so was ist nun das Netteste, was man über den sterbenden jungen Kerl noch sagen kann.
    Im Verlauf der nächsten Stunden ließen Blutdruck, Puls und Atmung mehr und mehr nach. Dann ging alles wieder etwas hoch, um anschließend erneut nachzulassen. Dann wieder ein kleines bißchen nach oben, dann etwas stärker nach unten. Die vitalen Reaktionen wurden schwächer, und der Puls fiel bis auf sechsundvierzig. Ken Kelly wußte, daß er diese Zahl sicherlich nie vergessen würde. Weil im selben Moment dieses schwache Summen ertönte.
    Die Krankenschwester guckte auf die Uhr und sagte: »Na ja, abgesaugt werden muß er nun nicht mehr.«
    Sie ließ Ken mit dem Gangster allein, und er dachte: Das ist ja 'n Ding! Das ist ja wirklich 'n verdammtes, erstaunliches Ding! Der Kerl ist echt tot!
    Und dann konnte Ken sich einfach nicht mehr zurückhalten, und obgleich er Angst hatte, man würde ihn beobachten und für einen Homo, eine Pussy oder sonst was in dieser Richtung halten, konnte er sich wirklich nicht mehr zurückhalten. Er legte die Hand auf den bandagierten Kopf und sagte leise: »Gott befohlen.« Verlegen zog er die Hand wieder weg.
    Ken Kelly rief die Southern Substation an und teilte Ernie Salgado mit, der Gangster sei gestorben. Anschließend ließ er sich Joe Vasquez geben.
    Als Big Ugly an den Apparat kam, sagte Ken Kelly: »Joe, du solltest auch wissen, daß der Kerl gerade gestorben ist. Ich war hier die ganze Zeit über bei ihm, und ich meine, du solltest es auch wissen.«
    Ken vernahm eine seltsam fremde Stimme, die scheinbar gar nichts mehr mit seinem Freund zu tun hatte, dem immer fröhlichen, unbeschwerten Joe Vasquez, der nur selten mit den Kollegen feierte, seine Frau seinen besten Freund nannte und oft davon redete, ein Baby zu adoptieren, weil sie offensichtlich keins kriegen konnten.
    Die Stimme, die Ken Kelly hörte, war die von Joe, zugleich aber auch nicht die von Joe, und sie sagte: »Das ist mir

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