Die San-Diego-Mission
Sie duckten sich, als ein blau-weißer Wagen der Polizei von Tijuana langsam über die unsichtbare, nicht durch einen Zaun gesicherte Grenze fuhr und seine Scheinwerfer über ein paar Kinder huschen ließ, die mit einem alten Lastwagenreifen spielten.
Dann sah die Schar der verängstigten Grenzgänger, wie sich aus der Dunkelheit langsam drei Schatten näherten. Es war so finster, daß die Schatten nur noch wenige Meter entfernt waren, als sie Gestalt annahmen. Lino befürchtete von Anfang an das Schlimmste, weil die drei Gestalten etwas besser angezogen waren als Pollos. Sie trugen hautenge Jeans und warme Pendletonhemden. Alle drei hatten langes Haar, das ihnen bis über den Kragen hing, und zwei hatten sich wie Filmgangster mit Halstüchern vermummt. Außerdem gingen sie nicht wie Pollos. Sie gingen direkt auf sie zu, so daß Lino und die anderen seiner Gruppe instinktiv noch mehr in sich zusammenkrochen, um Unterwürfigkeit zu demonstrieren.
Lino war sich nicht sicher, wer die Messer zuerst gesehen hatte, aber eine der Frauen sprang kreischend auf und rannte in Richtung Grenze davon. Dadurch wurden sicherlich mehrere Vergewaltigungen verhindert, denn auch die anderen Frauen, inzwischen ebenfalls in Panik geraten, sprangen auf, liefen weg und ließen die hingekauert sitzengebliebenen Männer mit den Gangstern allein.
Die Gangster waren natürlich sauer, daß die Frauen getürmt waren, aber aus der Richtung, aus der sie gekommen waren, würden wohl noch viele kommen. Der Anführer, ein Mensch mit einem schütteren Spitzbart, trat plötzlich hinter Linos Freund Luis, der sich, wie gelähmt vor Entsetzen, überhaupt nicht wehrte, und hielt ihm sein Messer direkt an die Kehle. Lino sah ein dünnes Blutrinnsal, und als Luis zu schreien begann, knallte ihm ein anderer Gangster einen großen Felsstein ins Gesicht. Luis stürzte zu Boden und winselte um Gnade.
Die Gangster sagten in der ganzen Zeit, in der sie die Opfer durchsuchten, nichts als »danos tuferia«. Nur den Slangausdruck, Geld rauszurücken. Und das auch nur einmal. Sie waren zielstrebig. Sie gebrauchten nicht nur keine Worte, sondern taten auch keinen Handschlag zuviel. Sie nahmen Lino die vierundzwanzig Dollar und die kostbare Uhr und den Ledergürtel ab. Luis Rodriguez, glücklich, überhaupt noch am Leben zu sein, händigte ihnen nahezu erleichtert den einzigen Wertgegenstand aus, den er noch besaß, ebenfalls einen Cowboygürtel mit einer großen Metallschnalle. Für den hatte er fünf amerikanische Dollar bezahlt, gleich nachdem er in Tijuana angekommen war.
Alle Cops trugen zwar ihre ältesten und dreckigsten Klamotten und ihre kaputtesten Tennisschuhe, fühlten sich aber trotzdem irgendwie unvollständig kostümiert. Manny Lopez überlegte gerade, ob er nicht die Heilsarmee oder einen der vielen Wohltätigkeitsvereine dazu bewegen könne, seine Leute wie richtige Grenzgänger auszustaffieren. Als sie jetzt den Rand des Deadman's Canyon erreichten, standen sie unvermittelt vor drei Gestalten, die sich nach Polloart niedergekauert hatten.
Manny Lopez, der zuerst nur das demütige Niederhocken registrierte, sagte im Vorbeigehen höflich »buenas noches«. Die hockenden Männer hingegen antworteten ganz und gar nicht höflich. Die drei trugen abgetragene Jeans und hatten schulterlanges Haar, und zwei von ihnen hatten sich mit Halstüchern vermummt.
Einer der hockenden Männer stand auf. Er hatte einen dünnen Spitzbart, der im Wind flatterte. Er sagte ihnen auf spanisch, sie sollten sich vor der migra in acht nehmen. Und als in einiger Distanz ein paar Scheinwerfer sichtbar wurden, befahl er ihnen, sich ebenfalls hinzuducken, obgleich die gar nicht von der Border Patrol stammen konnten.
Dann aber war einer der Gangster das Versteckspiel offenbar leid, und er baute sich, wohl in dem Glauben, diese Pollos würden sich ohne Mühe rupfen lassen, vor Eddie Cervantes auf und legte eine Antrittsvorstellung hin, wie sie der Cop noch nie erlebt hatte.
Eddie Cervantes hatte schwermütige und leicht schräge Augen. Wegen seiner Kleinheit war er die Zielscheibe unzähliger Witze, und sein kurzer Haarschnitt, der noch aus seiner Zeit beim Marinecorps stammte, paßte eigentlich eher zu einem Jungen. Er war in den Augen der Gangster offenbar am leichtesten einzuschüchtern. Der Gangster lächelte nur und hielt ihm eine Messerklinge vor die Nase, die im Mondlicht schimmerte. Ohne Vorwarnung packte er Eddie Cervantes an der Kehle und zischte ihm aus kürzester
Weitere Kostenlose Bücher