Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sanddornkönigin

Die Sanddornkönigin

Titel: Die Sanddornkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
Vom Netzwerk:
Truhe mit einem Schloss gesichert gewesen, sie hatte keine Ahnung, was sich darin befand. Hilke befühlte den Metallbeschlag. Er war porös, und sie konnte mit den Fingerkuppen dahinter fassen, doch bewegen konnte sie ihn nicht. Mit Hilfe eines Schlüssels, den sie in der Jackentasche gefunden hatte, hebelte sie die rostige Platte ein kleines Stück aus dem morschen Holz. Es knarrte, und ein paar faserige Splitter wanden sich heraus. Sie stieß den Schlüssel tiefer und hieb mit der Faust dagegen, doch erst ein kräftiger Tritt mit dem Schuh hievte die kurzen Schrauben heraus. Der Beschlag löste sich mit einem Ruck, der sie nach hinten fallen ließ. Sie konnte nichts erkennen, das wenige Licht gelangte nicht in die Truhe, und obwohl es sie Überwindung kostete, fühlte sie vorsichtig nach dem Inhalt der Kiste. Es schienen klamme Bücher zu sein, sie schob das aufgedunsene Papier zur Seite und griff tiefer. Ein längliches glattes Etwas fiel ihr zwischen die Finger, es war aus Leder. Sie holte es zögernd heraus und hielt es gegen das blaue Licht des Gasfeuers. Es war ein großes Messer, eingebettet in ein braunes Etui wartete eine grausig scharfe Klinge darauf, wieder einmal einem Tier die Kehle aufzuschneiden. Hilke wog die Waffe in der Hand und wusste, dass sie sie nicht mehr in die Truhe zurücklegen würde.
    Das Geräusch war diesmal zu laut, um von einem herumirrenden Tier zu stammen. Sie konnte noch nicht einmal genau sagen, ob sie vorher schon etwas gehört hatte, das Knacken des Schlosses und die Wühlerei im Inneren der Truhe hatten ihre volle Aufmerksamkeit gefordert. Es waren eindeutig Schritte, sandiges Knirschen direkt vor der Tür. Hilke schaute noch kurz zum hinteren Fenster hinüber, doch sie sah ein, dass es keinen Sinn machte, zu flüchten. Stattdessen presste sie sich an die Wand neben dem Eingang, sie war wie erstarrt, und als sie an sich selbst herunterschaute, bemerkte sie, dass sie das Messer fest umklammert in der Hand hielt. Sie hob den Arm auf Kopfhöhe und schloss die Augen für einen kurzen Moment.
    »Hilke… Du bist hier, ich weiß es…«
    Sie stieß den angehaltenen Atem aus. Es war Fokke, Gott sei Dank, es war Fokke! Und er schien allein gekommen zu sein.
    »Mach auf, Mutter, ich tu dir nichts. Was ist nur los?«
    Sie schob den losen Riegel zur Seite, er hätte einem kräftigen Ruck gegen die Tür wohl nie Stand gehalten, und ließ sich dann mit dem Rücken an der Wand zu Boden gleiten. Fokke trat nur langsam ein, so als ahnte er, dass sie bewaffnet war. Es versetzte ihr einen schmerzhaften Stich.
    Doch im selben Augenblick, als er sie am Boden hocken sah, hatte er sich zu ihr hinuntergebeugt und sie in die Arme genommen. Hilke roch die Feuchtigkeit, die an seinem Hals klebte, er musste gerannt sein. Nur nicht weinen, fang bloß nicht wieder an zu heulen, schalt sie sich selbst, denn sie merkte, wie die Erleichterung und diese ersehnte Umarmung in ihr einen Überschwall an Gefühlen losriss. Doch sie schaffte es, schluckte die Tränen herunter, kurz bevor sie ihr aus den Augen getreten waren. Dann stand sie auf, mit wackeligen Beinen zwar, aber ohne sich von ihm stützen zu lassen. Er streckte ihr einen voll gepackten Rucksack entgegen.
    »Ich habe dir das Nötigste von meinen Sachen mitgebracht, meinen Schlafsack und den Campingkocher, warme Socken und so was.«
    »Oh, Fokke, du glaubst nicht, wie…« Er legte den Finger auf die Lippen.
    »Mama, was auch immer passiert ist, ich bin mir sicher, du weißt, was du tust. Kein Mensch ahnt bislang, wo du steckst, von mir wird es auch keiner erfahren. Ich habe heißen Tee mitgebracht, den trinken wir jetzt, und dann wird es Zeit, dass wir mal miteinander reden.« Aus der Thermosflasche konnte sie milden Dampf aufsteigen sehen, und als sie sich beide auf die Kiste setzten und die Finger an den vollen Plastikbechern wärmten, da schnürte es ihr für einen kurzen Augenblick die Kehle zusammen, weil sie an ihrem Sohn gezweifelt hatte.
    »Thore hat mir gegenüber angedeutet, was passiert ist. Ich bin heilfroh, dass du die Beine in die Hand genommen hast und ihm entkommen bist. Das hättest du schon viel früher tun sollen.«
    Sie hätte ihn am liebsten in den Arm genommen und an sich gedrückt, ihm »Mein guter, guter Junge« ins Ohr geflüstert, aber sie wusste, es stand noch zu viel zwischen ihnen.
    »Was haben sie dir angetan«, sagte er leise und kopfschüttelnd, und es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
    »Fokke, das Hotel, es

Weitere Kostenlose Bücher