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Die Sanddornkönigin

Die Sanddornkönigin

Titel: Die Sanddornkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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gehört mir. Ich bin es, die Verträge unterschreiben muss, die Pläne durchkreuzen kann, die im Weg stehen könnte. Erst heute ist mir klar geworden, was es bedeutet.«
    Er schaute sie mit seinen großen hellen Augen an, seine Haare standen wild zu allen Seiten, und sie erkannte, dass er noch immer ihr kleiner Junge war, den sie so geliebt hatte und dem sie nie so nahe sein konnte, wie sie es sich gewünscht hatte.
    »Thore will dich außer Gefecht setzen…«
    »Es könnte ihm auch gelingen.«
    »Wenn du es nicht zulässt, Hilke, dann wird er es nicht schaffen. Er will dir den Mord in die Schuhe schieben, er will dich für unzurechnungsfähig erklären lassen, er will das Hotel wieder in seinen Händen haben. Mama, du darfst es ihm nicht so leicht machen.«
    »Ich kann nur davonlaufen. Für alles andere bin ich … zu schwach. Es ist nicht nur seine Schuld, dass ich so geworden bin. Vielleicht hätte ich nur von Anfang an sagen sollen, was ich wirklich möchte, statt von ihm zu erwarten, für mich mit zu denken und in meinem Sinne zu handeln. Schon damals, als ich dich bei meinen Eltern gelassen habe, damit fing alles an.«
    »Sei still«, sagte er sanft.
    Sie schwiegen beide und tranken von dem heißen Tee. Er schenkte ihr noch einen Becher ein, dann holte er aus dem Rucksack eine große Wolldecke und legte sie um ihre Schultern. Es tat unendlich gut, ihr war warm, endlich warm.
     
     
    Leise Musik legte sich über das Geklapper von Bestecken und die gedeckten Gespräche. Es waren diese Klassiker, deren Namen man nicht kannte, die aber jeder mitsummen konnte. Wencke hatte mal eine Affäre mit einem Mann gehabt, der diese Art von Musik immer dann auflegte, wenn es intim wurde, weil er mal gelesen hatte, dass der »Bolero« eine sensationelle Wirkung beim Sex haben soll. Ihr war diese Wirkung entgangen.
    Vielleicht hatte ihr Liebhaber etwas verwechselt, diese Musik schien eher den Appetit zu fördern. Das Restaurant war voll besetzt, an den Tischen schoben sich die Gäste die Gabeln in den Hals, verdrehten hingebungsvoll die Augen und stießen ihre hohen Gläser zusammen.
    »Auf uns.«
    »Auf den Abend.«
    »Auf das himmlische Essen.«
    Dann lachten sie. Wencke fühlte sich nicht oft deplatziert. Im Puff trank sie mit der Putzfrau einen Piccolo, und in der Kirche betete sie laut ihr »Vaterunser«. Doch zwischen diesen kauenden Menschen, die sich die Lippen mit Stoffservietten abtupften, fühlte sie sich unwohl. Diese Welt der Holzstühle, die schlicht aussahen, aber extravagante Preise hatten, war nicht echt. Als würde man den Gästen ein heimeliges Gefühl aufdrängen, seht her, welch hochwertige Tischdecken, echtes Leinen mit eingewebten Blumenranken und handbestickter Borte, aber schmeißt bloß nicht euer Weinglas um, sie lassen sich so schlecht waschen…
    »Frau Kommissarin, Herr Kommissar, sehr erfreut. Wollen Sie heute Abend bei uns tafeln?« Es war der große, hagere Kellner, das goldene Namensschild an seiner korrekten Weste verriet, dass er »Restaurantleiter Gunnar Diekhoff« hieß.
    »Nein, danke, wir haben in unserer Pension gegessen«, sagte Meint, und sie hatte den Eindruck, dass es ihm Leid tat, hier nicht Platz zu nehmen.
    »Ich hoffe, es hat Ihnen trotzdem geschmeckt. Wo sind Sie denn hier auf der Insel untergebracht, wenn ich fragen darf?« Er lächelte sie an, und Wencke war ein bisschen schockiert, dass dieses Lächeln wirklich von Herzen zu kommen schien.
    »Pension ›Inselfreude‹«, antwortete sie einsilbig.
    »Wir hoffen, Herrn Felten endlich einmal persönlich anzutreffen. Seit heute Nachmittag ist er für uns nicht zu sprechen, und so kommen wir ja auch nicht weiter. Wo ist Ihr Chef?«
    »Ich freue mich, Ihnen behilflich sein zu können. Er sitzt im Separee. Wenn Sie mir bitte folgen wollen…« Er führte sie an dinierenden Herrschaften vorbei, Wencke lief mit dem Gesicht nach oben, um einen kurzen Blick auf die hohe Decke mit den makellosen Stuckornamenten und die unzähligen Lüster in Gold und Kristall zu werfen. Hier würde sie niemals putzen wollen. Als sie dann in den hinteren Teil des Restaurants gelangten, der schlechter beleuchtet und von einem mannshohen Paravent abgetrennt war, kam es ihr beinahe vor, als betrete sie ein völlig anderes Haus. Der Parkettfußboden war abgetreten. Als sollten sie das Schlimmste verdecken, lagen scheckige Teppiche darüber. Die Sitzecke sah aus wie die Requisite einer Siebziger-Jahre-Sketchsendung: kantiges, dunkles Eichenholz, bezogen mit

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