Die Sanddornkönigin
schöne, kluge Frau ausgesaugt wie eine Auster. Er hat sich mit ihr geschmückt, er hat sich ihr Wissen angeeignet, und er hat sie wahrscheinlich auch gevögelt, und ich schwöre dir, er hat dies alles getan, um dich kaputtzukriegen. Denn das Einzige, was ihm wirklich etwas bedeutet, ist das Hotel. Und das kann er nur haben, wenn du aus dem Weg bist.«
Hilke lief ein Schauer über den Rücken, als sie das Fünkchen Wahrheit in dem erkannte, was er sagte. Sie hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Wie schon so oft.
»Doch Ronja war nicht dumm. Sie hat ihn durchschaut, sie hat erkannt, dass auch sie für ihn nur Mittel zum Zweck war. Und wie ich Ronja Polwinski kannte, hat sie ihm ganz genau erzählt, was sie davon hielt. Was meinst du denn, warum sie so kurz vor den ›Sanddorntagen‹ noch mal für eine Woche aufs Festland wollte? Sie war außer sich, sie war in Rage, sie wollte Thore eins auswischen, denn sie war keine Frau, die sich nur für eine Sekunde jemandem zum Untertan machen lassen würde. Und das wusste Thore, er befürchtete das Schlimmste, seinen Untergang, oder schlimmer noch, dass sie dich zu ihrer Komplizin machen könnte. Und dann hat er sich an deinem Medizinschränkchen bedient, bevor er sie im Kühlhaus zum Schlafen niedergelegt und ein paar Tage später, steif wie eine Schaufensterpuppe, in die Dünen getragen hat. Im Hinterkopf hat er sich die ganze Zeit überlegt, wie er dir den Mord anhängen kann. Mutter, man hat Ronjas Kleidung in deinem Atelier gefunden, und er hat der Polizei ein Tonband übergeben, auf dem du angeblich den Mord gestehst. Thore Felten ist ein Meister der Berechnung, und er lässt sich von niemandem so leicht einen Strich durch die Rechnung machen.«
Eine Träne lief ihre Wange herunter. Sie wischte sich das Gesicht am Arm ab, an Fokkes Wollpullover, den sie gegen die Kälte trug, die Ärmel waren viel zu lang. Es war ein anderes Weinen als das, welches sie in den letzten Jahren so oft übermannt hatte. Es war still, und es tat nicht weh, es wusch die Augen aus, und sie begann zu erkennen, dass Fokkes Worte kein Märchen waren.
»Warum?«, fragte sie, ohne eine Antwort darauf zu verlangen.
Fokke begann damit, die Sachen in den Beutel zu packen. Er sah Hilke entschuldigend an.
»Ich lass dich nicht gern allein hier, Mutter, erst recht nicht, nachdem ich dir so etwas schwer Verdauliches zugemutet habe. Es tut mir Leid, aber ich muss los. Es könnten Fragen im Hotel gestellt werden, wenn ich erst so spät zurück bin, dass es alle mitkriegen. Außerdem, Mutter, du weißt, wie ich bin, ich habe bis morgen noch verdammt viel zu tun. Ich muss morgen gut sein, nein, ich muss noch besser sein. Es ist wichtig, es ist meine Art, es allen zu zeigen. Auch Thore.«
»Ich weiß«, sagte Hilke.
»Ich lass dir mein Telefon da. Wenn irgendetwas ist, dann lasse ich es zweimal klingeln, hörst du? Und dann nimmst du deine Sachen mit und verschwindest, so schnell du kannst. Ich werde mich dann wieder bei dir melden, dir sagen, was du tun sollst. Aber bitte geh nur an den Apparat, wenn meine Nummer auf dem Display erscheint, okay?«
Er rannte durch die Dünen davon. Sie schaute ihm noch lange nach an ihrem kleinen Fenster. Wenn sie zurückblickte, dann kostete sie jeder Tag eine Träne, an dem sie nicht eine Mutter gewesen war, wie sie es ihm hätte sein sollen. Es waren viele Tränen. Ihr Sohn, er war so warm, so gut, es war wunderbar, dass er jetzt bei ihr war.
Die Gedanken an ihn, sie waren die einer Mutter, sie übersah den kleinen Stich, den er ihr versetzt hatte, als sie für einen flüchtigen Augenblick nur erkannte, wie berechnend er war.
Das Frühstücksei blieb unberührt und den Rosinenstuten hatte Wencke trocken und nur zur Hälfte heruntergewürgt. Zum Glück gab es Kaffee. Als sie sich die vierte Tasse einschenkte, bemerkte sie Meints sorgenvollen Blick.
»Aus dir soll mal einer schlau werden. Gestern Abend bläst du mit vollen Trompeten die Suchaktion ab, ohne mir als Kollegen einen triftigen Grund dafür zu nennen, und heute Morgen bist du noch nicht einmal in der Lage, eine anständige Mahlzeit zu dir zu nehmen. War deine Aktion vielleicht doch nicht so gelungen?«
Wencke beneidete Meint um seinen gesegneten Appetit, ihm schien der Fall keine Magenschmerzen zu bereiten. Manchmal wünschte sie ihren Ehrgeiz zum Teufel. Dann könnte es ihr wenigstens egal sein, dass der Chef tobte und ihre Kompetenz infrage stellte. Warum wollte sie eigentlich partout
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