Die Sanddornkönigin
Kommissarin los?«, sagte er, als er sich auf die Bettkante setzte wie ein Vater, der die heulende Tochter zu trösten versuchte. Der Schuss ging nach hinten los, sie fühlte sich von einem erneuten Gefühlsausbruch übermannt und verbarg den Kopf unter dem Kissen.
Dumpf konnte sie seine Worte hören.
»Ich habe dir noch gar nicht richtig danke gesagt, und das wollte ich jetzt noch unbedingt loswerden. Du hast einiges auf deine Kappe genommen, um meiner Mutter und mir zu helfen…«, sie schluchzte erneut, »ich hoffe, du heulst nicht deswegen?«
Sanft nahm er das Kissen herunter, sie drehte sich mit dem Gesicht zur Wand und atmete tief durch. Dann spürte sie seine Hand auf ihrem Haar und wusste sofort, dass sie ihn nicht abweisen würde, wenn er anfangen sollte, sie zu streicheln.
»Ich heule doch gar nicht«, kam es stockend über ihre Lippen, die vom Schluchzen ganz spröde geworden waren.
Er lachte kurz und warm.
»Es ist nur«, Wencke zögerte kurz, »vielleicht mag es lachhaft klingen, aber ich bin doch auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut, so ein Mist aber auch…« Nun begannen seine Daumen, ihren Nacken zu massieren. »Das war sogar das Erste, was mir an dir aufgefallen ist.«
Nun hatte sie den Mut, sich umzudrehen und ihm ins Gesicht zu sehen. Er nahm seine Hände nur kurz von ihr fort, dann legte er sie wie selbstverständlich an ihre Schläfen und begann, den Haaransatz mit den Daumen zu streicheln.
»Ich habe mir, ehrlich gesagt, Kriminalkommissarinnen immer ganz anders vorgestellt«, sagte er.
Sie lächelte. »Vielleicht bin ich ja gar keine echte Kriminalkommissarin…«
»Wenn nicht du, wer dann sonst?«
Er konnte nicht ahnen, wie gut ihr diese Worte taten.
»Musst du nicht Kartoffeln schälen?«, fragte sie, als er sich weiter zu ihr herunterbeugte.
»Wenn ich morgen so ein gutes Gefühl im Bauch habe wie jetzt gerade in diesem Moment, dann werde ich sowieso das Essen versalzen, also vergiss die Kartoffeln.«
Samstag
R ote Haare kitzelten ihn wach, er blinzelte nur kurz, der Schein der Hotelbeleuchtung drang durch die Jalousien ins Zimmer und hinterließ streifige Schatten auf der schlafenden Gestalt neben ihm. Sie hatten viel zu lange geschlafen. Gerade heute. Fokke lächelte bei dem Gedanken, dass dieser Tag nicht besser hätte beginnen können.
Eine Erinnerung zwang ihn, sich noch einmal umzudrehen. Eine Erinnerung an einen anderen Morgen im Sommer, als rote Haare ihn wachkitzelten und er das Gefühl hatte, für einen Tag die Hebel der Welt zu bewegen. Ronja und er waren erst um zehn der Wärme des Bettes entstiegen und hatten auf dem Flachdach vor seinem Zimmerfenster Avocados und Hummer gefrühstückt. Die Sicht war schöner gewesen als jemals zuvor oder danach, die nahezu unbewohnte Vogelinsel im Westen gab sich ungewöhnlich freizügig. Man konnte sogar das alte Gestell im Wattenmeer erkennen, auf dem vor Jahren das Memmertfeuer gethront hatte, welches nun im Juister Hafen die erwartungsfrohen Sommergäste mit einem kulissenhaften Leuchten begrüßte. Sie hatten in der Ferne das Festland mit den riesenhaften Windkraftanlagen ausmachen können und sich davon inspirieren lassen, eine moderne Variante von Don Quichotte zu ersinnen. Genau wie dieser sagenhafte Antiheld war auch Fokke damals ein weltfremder Idealist gewesen, der meinte, sich mit einem schönen Frühstück ein schönes Leben erkaufen zu können. Der Sommertag war viel versprechend gewesen, das Meer hatte beschlossen, ausnahmsweise mal über siebzehn Grad warm zu sein, und als er Ronjas schlanken Körper die Schaumkrone einer gewaltigen Welle durchbrechen sah, da hätte er schwören können, dass es immer so weitergehen würde. »Wer am längsten tauchen kann«, hatte Ronja ihm zugerufen, und er war mit geschlossenen Augen in ihre Richtung geschwommen, bis ihre Köpfe unter Wasser aneinander stießen und sie sich am Meer verschluckten vor lauter Lachen. »Komm mit«, hatte sie geflüstert, hatte er damals eigentlich auch etwas gesagt? Er war ihr gefolgt, unterbrochen von salzigen Küssen waren sie bis zum Deich gelaufen, dessen Gras so hoch stand, dass man sie nicht sehen konnte, als sie sich nur drei Meter vom Fußweg entfernt liebten. Zwei Kinder hatten ihren bunten Drachen direkt über ihnen steigen lassen und kamen dicht an ihnen vorbeigerannt, lachend und kreischend, keiner hatte Ronjas Seufzen gehört.
Dann schlenderten sie durch den lebendigen Ort zurück, sie hatten das Gefühl, dass jeder ihnen ansehen
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