Die Sanddornkönigin
aufgeklärt.«
Obwohl Sanders damit gerechnet hatte, verzog Tydmers keine Miene. Stattdessen ging sie friedlich an seiner Seite zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Zu ihrer Linken blubberte das Watt.
Es schickte seinen modrigen Duft mit dem Wind zu ihnen herüber, genau wie die kurzen, spitzen Schreie der Möwen, die sich in der braungrauen Schlickmasse niedergelassen hatten. Doch Sanders hörte nicht hin, er lauschte Wencke Tydmers, die ihm eine Geschichte vortrug, auf die er im selben Moment, da er sie hörte, eingestiegen war. Ein kleines Fünkchen Achtung für die Kollegin stob in sein Bewusstsein, denn es passte alles zusammen, was sie ihm ein wenig atemlos erzählte:
Der Ehemann und der Psychotherapeut sind nachweislich alte Freunde, sie machen gemeinsame Sache und versuchen, die Ehefrau systematisch zugrunde zu richten mit dem Ziel, im Falle einer Entmündigung das alleinige Sagen über das Familienhotel zurückzubekommen. Als Verstärkung kommt eine junge, attraktive Psychologin ins Team, was den seelischen Schaden der latent eifersüchtigen Ehefrau noch verschlimmert. Kurz vor dem Ziel verkracht sich das Dreiergespann. Gründe dafür mag es genug geben, vermutlich mal wieder das liebe Geld, zumindest hat es dazu geführt, dass ein Mord geschehen musste. Diese Tat hat den praktischen Nebeneffekt, dass man sie hervorragend der ohnehin als psychisch krank abgestempelten Frau in die Schuhe schieben konnte, mit einem mehr oder weniger erzwungenen Stammelgeständnis auf Band kein großes Problem.
Sanders blickte seine kleine Kollegin respektvoll von der Seite an.
»Es hört sich griffig an, Frau Tydmers, zugegeben. Wie können Sie Ihre Vermutungen belegen?«
»Das Übliche. Erstunkene und erlogene Vorwände, um unter falschen Namen bei den richtigen Personen anzurufen. Ich habe inzwischen erfahren, dass Felten und Gronewoldt dasselbe Internat besucht haben, und zwar zur selben Zeit, 1965 in Bederkesa. Zudem hat Dr. Gronewoldt seit seiner Scheidung finanziellen Notstand, wie mir seine Exfrau bereitwillig erzählt hat. Ronja Polwinski hat er nach Juist geholt. Er kannte sie nach eigener Aussage von einem Seminar und durch ihre Forschungen am Jekyll-und-Hyde-Prinzip und wollte sie aus diesem Grunde mit Thore Felten und Frau bekannt machen. Merkwürdigerweise haben aber alle anderen Personen aus diesem Hotel ausgesagt, dass sie sich mit der Gästebetreuung und dem Personal beschäftigte. Zudem habe ich von unserer Pathologie erfahren, dass die Medikamente, die Frau Felten-Cromminga verschrieben bekommen hatte, absolut daneben waren. Mal angenommen, Herr Dr. Gronewoldt hat tatsächlich eine Depression bei ihr diagnostiziert, dann hätte er seiner Patientin Aufputschmittel oder zumindest ein Antidepressivum verordnen müssen. Stattdessen hat Hilke Felten- Cromminga laut der Aussage ihres Apothekers eine hohe Dosis eines Mittels genommen, das als Nebenwirkung unter anderem Persönlichkeitsverlust und Wahrnehmungsstörungen auf dem Beipackzettel anführt.«
»Es ist unglaublich, welche Informationen Sie innerhalb von…«, Sanders schaute auf die Uhr, »von zwei Stunden auftreiben konnten. Ich hoffe, Sie haben nicht zu sehr geschummelt.« Er klopfte ihr freundschaftlich anerkennend auf den Rücken, und erst als sie einen Schritt nach vorn machte, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, fiel ihm auf, dass er diese kumpelhafte Geste einer Frau hatte zuteil werden lassen. »Entschuldigung«, murmelte er.
»Wir müssen Hilke Felten-Cromminga finden«, sagte Britzke mit fester Stimme.
»Ja, das müssen wir so schnell wie möglich«, pflichtete Wencke ihrem Kollegen bei.
Sanders nickte nur mit nach unten verzogenen Mundwinkeln. Er war zufrieden, es schien alles nach Plan zu verlaufen. Er hatte seine Leute voll im Griff.
Er war der richtige Mann.
Der Schlüssel war unter dem losen Stein im Gemäuer ihres Elternhauses versteckt. Es war vielleicht ein wenig riskant von Fokke gewesen, dieses Versteck zu wählen. Zwar lag das kleine Gebäude etwas abseits, doch die lebhafte Friesenstraße würde sie nicht umgehen können. Außerdem wurde dieser Ort sicher beobachtet, da man damit rechnen konnte, sie hier zu treffen. Hilke war sich sicher, dass Fokke nichts Unüberlegtes getan hatte, er vermochte die Situation sicher gut einzuschätzen. Als sie das poröse Stück Backstein aus der Wand neben dem Geräteschuppen lockerte, da musste sie mit dem Verlangen kämpfen, auf die Erde zu sinken und den
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