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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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tust!« Sie schlüpfte aus dem Zimmer und rief ihm über die Schulter zu: »Jetzt geh, sag Kleiner Pfirsich, sie soll die Verrückte spielen!«
    Er sah seine Tochter mit einem Satz geschickt auf das Maultier aufspringen und sich vornüberlehnen, so daß es aussah, als seien Reiter und Maultier eins. Das Maultier schoß wiehernd davon. Seine Hinterbacken leuchteten noch kurz im Mondlicht auf und im nächsten Moment war es in der Schwärze der Nacht verschwunden. Man hörte nur noch das sich ostwärts entfernende Hufgetrappel.
    Eilig schloß Sun Bing die Tür, drehte sich um und sah seine Frau, die sich bereits das Haar gelöst hatte. Ihr Gesicht war mit Kohlenstaub verschmiert, das Kleid zerrissen, so daß es ein Stück ihrer weißen Brust entblößte. Sie stand vor ihm und sagte streng: »Hör auf Meiniang. Mach schnell!«
    Sun Bing sah sie bewundernd an. In diesem Moment erst wurde ihm bewußt, was für ein mutiger und gewitzter Mensch in dieser scheinbar so schwächlichen Person steckte. Er schloß sie fest in seine Arme. Sie riß sich los und sagte: »Schnell, flieh! Kümmere dich nicht um uns!«
    Er lief hinaus und nahm den Weg, den er vom Wasserholen gewohnt war, kletterte den Deich des Masang hinauf und versteckte sich hinter einer Weide. Von dort hatte er eine gute Sicht auf das ruhig daliegende Dorf, die graue Straße und das eigene Haus. Deutlich konnte er das Wehgeschrei von Bao'er und Yun'er hören und es tat ihm in der Seele weh. Der Neumond stand, wie eine zart geschwungene Augenbraue, tief am westlichen Himmel und wirkte schöner denn je. Das weite Himmelszelt war voll dichter Sternennebel, die so herrlich glitzerten wie Juwelen. Das Dorf lag pechschwarz da, in keinem Haus brannte Licht. Aber Sun Bing wußte, daß niemand schlafen gegangen war, daß sie alle still auf jede Bewegung vor der Tür lauschten, als ob sie sich durch das Einschließen in die Dunkelheit vor Unglück bewahren könnten. Als das Hufgetrappel näher kam, begannen die Dorfhunde zu bellen. Eine Truppe Kavalleristen ritt vorbei, schwer zu sagen, wie viele es waren. Er sah nur die unzähligen Pferdehufe, die über das Steinpflaster trabten und dabei einen Teppich dunkelroter Funken aufstieben ließen.
    Die Reiter sammelten sich vor dem Teehaus. Sun Bing erkannte undeutlich einen Gerichtsdiener, der von seinem Pferd absprang. Der Trupp lärmte; Fackeln wurden angezündet. Sun Bing duckte sich hinter seinem Baum. Vögel schreckten flatternd auf und flogen davon. Er warf einen Blick auf den Fluß. Notfalls würde er sich ins Wasser stürzen.
    Jetzt konnte er alles deutlich erkennen. Es waren insgesamt neun Pferde, weiß und schwarz, rot und gelb gesprenkelt. Sie stammten aus hiesiger Zucht und waren nicht besonders schön anzusehen, mit zotteligen Mähnen und alten, zerschlissenen Sätteln. Zwei der Pferde hatten überhaupt keine Sättel. Im Schein der Fackeln waren ihre Köpfe groß und plump, und ihre Augen leuchteten. Die Schergen pochten an die Tür des Teehauses.
    Niemand kam, um ihnen zu öffnen.
    Die Männer brachen die Tür auf.
    Sun Bing fragte sich, ob diese Soldaten ihn wirklich festnehmen wollten. Sie benahmen sich doch recht zivilisiert. Es mangelte unter ihnen schließlich nicht an Spezialisten zum Überwinden von Mauern und Häusern. Dann kam er darauf, daß es die Männer Qian Dings sein mußten, und hinter dem Präfekten stand seine Tochter Meiniang.
    Schließlich drangen sie in sein Haus ein. Gleich darauf vernahm Sun Bing das Weinen und Lachen seiner schauspielernden Frau.
    Die Schergen durchstöberten alles und kamen mit erhobenen Fackeln wieder heraus. Einige von ihnen gähnten laut. Sie strichen noch ein wenig ums Haus herum, dann sprangen sie auf die Pferde und ritten davon. Das Dorf lag wieder friedlich da wie zuvor. Als Sun Bing in sein Haus zurückkehren wollte, gingen plötzlich, als gehorchten sie alle dem gleichen Befehl, in allen Häusern die Lichter an. Einen Augenblick später tauchten Dutzende von Laternen auf der Straße auf, die sich wie zu einem Laternenzug sammelten und seinem Haus zustrebten.

7.
    Sun Bing hielt sich in den nächsten Tagen weiterhin versteckt. Erst bei Einbruch der Dunkelheit kehrte er heimlich in sein Haus zurück. Tagsüber versteckte er sich in dem Weidenwäldchen am anderen Ufer des Masang. Dort gab es eine Reihe kleiner Lehmhütten, in denen die Dorfbewohner Tabak trockneten. Dort hielt sich Sun Bing tagsüber auf. Er ernährte sich von Pfannkuchen, die ihm seine Frau mitgab, und

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