Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
den Gastraum, riß den Türbolzen aus Dattelholz an sich, und war auf der Straße. Er drehte sich einmal um die eigene Achse und lief die Straße hinunter.
In die Gäste des Teehauses kam Leben und alle redeten durcheinander, so daß man sich vorkam wie in einem Bienenschwarm. Gerade erst waren sie durch die Geschichte mit dem Abschneiden der Zöpfe beunruhigt worden, da kam plötzlich auch noch die Nachricht dazu, daß ein Deutscher eine Chinesin belästigt habe. Ihre Angst verwandelte sich im Handumdrehen in eine große Wut. Die Unzufriedenheit der Dorfbewohner, die schon seit dem Beginn des Eisenbahnbaus durch die Deutschen immer mehr zugenommen hatte, war nun zu feindseligem Haß gewachsen. Ihr Gerechtigkeitsgefühl war verletzt. Jeder fühlte sich von heiligem Zorn ergriffen, vergaß die Gefahren, denen er sich und seine Familie aussetzte, hob mit den anderen zu einem lauten Kampfgeheul an und rannte hinter Sun Bing her zum Marktplatz.
4.
Sun Bing rannte die Gasse entlang. Er spürte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg. In seinen Ohren dröhnte es, sein Blick war verschwommen. Die Leute, auf die er stieß, waren für ihn wie aus Papier, sie stolperten unter dem explosionsartigen Druck seines manisch rennenden Körpers zur Seite. Deformierte Gesichter prallten an seinen Schultern ab. Vor der chinesischen Apotheke des Ji Shengtang und dem Krämerladen des Li Jin stand eine Menschenmenge. Er konnte zwar nicht erkennen, was im Innern der Menge vor sich ging, aber er konnte die heisere Stimme seiner Frau hören, die Flüche ausstieß und das Weinen seiner Kinder Bao'er und Yun'er. Er stieß einen langgezogenen Schrei aus, der wie das Brüllen eines Tigers und das Heulen eines Wolfes zugleich klang, und schwang seinen Stock aus rotem Dattelholz. Die Leute machten ihm Platz, um ihn durchzulassen. Schon sah er zwei deutsche Techniker mit ihren Storchenbeinen und Schurkengesichtern, deren Hände auf dem Körper seiner Frau lagen. Sie wehrte sich verzweifelt, doch den dichtbehaarten, rosafarbenen Händen der beiden Techniker, war so schwer zu entgehen wie den Armen eines Tintenfischs. Der eine der Männer war älter und schien der Meister zu sein; der andere war sein Gehilfe. Sie waren in Begleitung von Chinesen, die sie sich gefügig gemacht hatten, und die sich nun lachend auf die Schenkel schlugen. Die grünen Augen des Meisters flackerten wie ein Irrlicht. Sun Bings Kinder krochen auf dem Boden herum und plärrten. Wie ein verwundetes Tier schrie Sun Bing auf und schon sauste der schwere Stock aus Dattelholz wie ein roter Wind durch die Luft und landete auf dem glänzenden, langen Nacken des Deutschen, der sich gerade anschickte, Kleiner Pfirsich zwischen die Beine zu greifen. Er hörte den schmierigen, quietschenden Laut, den das Dattelholz von sich gab, als es den Nacken des Deutschen berührte und seine Handgelenke erbebten. Der Mann bäumte sich auf und sackte dann in sich zusammen, aber als er fiel, riß er Sun Bings Frau mit sich. Der große Körper des Deutschen drückte Kleiner Pfirsich zu Boden. Sun Bing sah, daß dunkler Saft aus dem Nacken des Technikers spritzte und roch den Gestank heißen Blutes. Das eben noch frech grinsende Gesicht des zweiten hatte sich von einer Sekunde auf die andere in die zähnefletschende Grimasse eines Dämons verwandelt. Dieser Teufel! Er war wild entschlossen, noch einmal zuzuschlagen, um es auch diesem dreisten Kerl zu zeigen, aber die Arme versagten ihm den Dienst und der Stock glitt ihm aus der Hand. Der erste tödliche Streich hatte bereits seine ganze Kraft erschöpft. Doch hinter ihm hatte sich die Menge formiert. Tragstangen, Hacken, Spaten, Besen und Dutzende geballter Fäuste präsentierten sich. Die Schlachtrufe waren ohrenbetäubend. Die chinesischen Kollaborateure, die Teufel zweiter Klasse, nahmen den zweiten deutschen Techniker am Arm, durchbrachen in wilder Panik die Mauer aus Menschen, die sie umschloß. Sie stürzten stolpernd und fallend davon, den schwerverletzten anderen Deutschen in der Meute zurücklassend.
Sun Bing war für einen Augenblick wie gelähmt. Dann faßte er sich, bückte sich und drehte mit seinen schwachen Händen den Körper des Mannes um, der noch immer halb auf seiner Frau lag und merkwürdig zitterte, und legte ihn auf die Seite. Seine Arme steckten noch immer zwischen den Beinen, als seien sie dort verwurzelt. Ihr Rücken war ganz vom frischen Blut des Deutschen durchtränkt. Ihm wurde von dem Anblick so übel, daß er sich übergeben
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