Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
sengende Hitze aus, glühende Asche flog durch die Luft. In seiner Kehle stieg ein bittersüßer Geschmack auf, er senkte den Kopf und spuckte Blut.
Das Massaker hatte siebenundzwanzig Menschen des Dorfes Masang das Leben gekostet. Die Leute brachten ihre Toten auf den großen Deich, wo sie sie Seite an Seite hinlegten, und warteten auf das Eintreffen des Präfekten. Auf Betreiben des Zweiten Patriarchen Zhang tauchten einige junge Männer im Fluß nach den Leichen des Kleinen Pfirsichs und der Kinder, die fünf Kilometer weit abgetrieben wurden, und brachten sie heim, um sie neben den anderen Toten aufzubahren. Man bedeckte den Körper der Frau mit einer alten gefütterten Jacke. Ihre Beine – so weiß, daß es einem eine Gänsehaut verursachte – waren völlig steif. Sun Bing erinnerte sich an die Zeit, als sie glamouröse weibliche Hauptrollen auf der Bühne spielte, auf dem Kopf Pfauenfedern und an der Hüfte ein perlenbesetztes Schwert. An den Füßen trug sie Schuhe aus Brokat, deren Spitze von einer faustgroßen roten Samtblume verziert waren, elegant die weiten Ärmel schwingend, tanzend und singend, mit einem Gesicht wie eine Pfirsichblüte, einer Figur so beweglich wie eine Weide, einer Stimme wie ein Pirol, wie sie mit soviel Charme um sich blickte ...
» Mein Weib, ach! Wie soll ich ertragen, daß der Hagel das Rot des Frühlings zerstört hat, wie die Schwerter des Windes und des Frosts?
Ich, ich, ich weine blutige Tränen ... Ich sehe die rote Sonne am Horizont untergehen, hoch hängt schon der silberne Haken.
Der traurige Gesang des Schafhirten, der Abendgesang der Krähe,
Dong dong ertönt der Kupfergong, die Sänfte erzittert, der Präfekt naht ...«
Sun Bing sah, wie Seine Exzellenz Qian aus der Sänfte stieg. Sonst hielt er sich so aufrecht, als hätte er einen Stock verschluckt. Doch jetzt sah er gebeugt aus, und sein Mund zuckte. Über sein sonst stets lächelndes Antlitz ging ein merkwürdiges Zucken. Auch sein Bart war ganz durcheinander. Er sah nicht mehr wie ein Pferdeschweif aus, sondern eher wie der Schwanz eines dürren Esels. Sein sonst so klarer und scharfer Blick war düster und stumpf. Mit seinen Händen schien er nicht zu wissen, wohin, dauernd ballte er sie zur Faust oder schlug sich damit gegen die Stirn. Einige mit Schwertern bewaffnete Militärwachen folgten ihm sehr vorsichtig, man konnte nicht sagen, ob sie ihn beschützten oder überwachten. Er sah sich jede Leiche genau an, während die Leute ehrfürchtig und still dabeistanden. Schließlich hielte er in seinem hastigen Gang inne, warf seine langen Ärmel zurück und sagte: »Liebe Dorfbewohner, bitte, ihr dürft jetzt nichts Übereiltes tun.«
»Exzellenz, wir brauchen Eure Unterstützung!« Die versammelte Menge flehte lauthals auf und warf sich vor ihm in die Knie.
»Liebe Dorfbewohner, ich bitte euch, steht auf. Dieses tragische Ereignis versetzt meinem Herzen einen Dolchstoß, doch die Toten sind tot. Geht und baut ihnen Särge. Begrabt sie und laßt sie in Frieden ruhen.«
»Und sie sollen für nichts gestorben sein? Sollen wir uns einfach so von den ausländischen Teufeln tyrannisieren lassen?«
»Eure Trauer ist auch meine Trauer«, sagte der Präfekt mit Tränen in den Augen, »eure Väter und Mütter sind auch die meinen, und ebenso sind es eure Töchter und Söhne. Ich kann nur hoffen, daß ihr Ruhe bewahrt und nicht unüberlegt handelt. Morgen werde ich in die Provinzhauptstadt zu einer Unterredung mit dem Provinzgouverneur fahren. Ich werde alles tun, damit euch Gerechtigkeit widerfahren wird.«
»Wir werden unsere Toten in die Hauptstadt tragen!«
»Nein, nein, auf keinen Fall«, sagte Qian Ding erschrocken, »bitte habt Vertrauen zu mir. Ich werde mich für euch einsetzen. Ich bin bereit, alles für euch zu riskieren, bis zu diesen Pfauenfedern an meinem Hut!«
Sun Bing beobachtete, wie Qian Ding sich inmitten des Wehgeschreis der Leute aus dem Dorf auf ihn zubewegte, sich ungelenk durch die Menge hindurchschlängelnd. Zögernd sagte er zu ihm: »Sun Bing, würdest ... würdest du einen kleinen Spaziergang mit mir machen?«
Die Musik, die Sun Bing wieder und wieder durch den Kopf ging, stieg plötzlich wieder wie eine Flutwelle in ihm auf, als würde die Erde Risse bekommen, die Berge einstürzen, ein epileptischer Anfall bevorstehen. Seine Augenbrauen wurden zu vertikalen Strichen, seine Augen rund wie die eines wütenden Tigers. In ihm sang es:
» Du Schweinehund von einem Beamten, du
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