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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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im unaufhörlichen Nieselregen seine frisch ausgebildeten Truppen um sich und befahl ihnen, die Bauhütten der Deutschen entlang der Eisenbahnstrecke anzugreifen.
    In den vergangenen zehn Tagen hatte er ohne sich zu schonen mit seinen beiden Gefährten an der Errichtung des Altars gearbeitet. Dort, am Fuß der Brücke, schrieben und beteten sie Zauberformeln und praktizierten die Rituale der Unverwundbarkeit. Alle kräftigen Männer des Dorfes traten in die heilige Armee ein, beteten vor dem heiligen Altar und übten die Techniken des heiligen Kampfs. Auch die jungen Männer aus den Nachbardörfern schnürten ihr Bündel und kamen nach Masang, um sich an den Aktivitäten zu beteiligen. Der Schafhirte von der anderen Seite des Flusses, Mu Du, und der Draufgänger Yu Jin wurden eiserne Gefolgsleute Sun Bings. Der Schafhirte wurde zu Zhang Bao ernannt, der vor dem Pferd des Generals Yue Fei herging; Yu Jin war Wang Heng, der seinem Pferd folgte. Während der Übungen wählten sich die Männer jeweils eine von ihnen bevorzugte Gottheit, einen General oder einen Helden der Geschichte aus, von dessen Geist sie beseelt werden wollten. Yue Yun, Niu Gao, Yang Zaixing ... die tapferen Heroen der Volksopern, die sagenhaften Gestalten der Literatur, die Heiligen und Unsterblichen der letzten dreitausend Jahre kamen aus ihren Höhlen oder stiegen von den Bergen herab und beglückten in ihren Reinkarnationen mit ihren magischen Kräften das Dorf. Sun Bing selbst, in seiner Rolle des großen kaisertreuen Generals Yue Fei, hatte alle diese Helden und Gottheiten, die ihm treu ergeben waren, unter seinem Befehl. Sie praktizierten viele längst vergessene Kampftechniken und wurden so innerhalb der kurzen Zeit von nur zehn Tagen zu stählernen Wächtern des Buddha, bereit, sich dem Kampf mit den deutschen Teufeln zu stellen.
    Die Macht des Feldmarschalls Yue wuchs beständig, inzwischen gehorchten ihm bereits achthundert Soldaten. Er versuchte auch nach Kräften, die Frauen zu mobilisieren, die für ihn eine große Menge von Stoff rot färbten und daraus Turbane und Schärpen für seine Truppen nähten. Außerdem entwarf er eine feuerrote Fahne, in die die sieben Sterne des Großen Bären eingestickt wurden. Die achthundert Männer wurden in acht Kompanien eingeteilt, diese wiederum in jeweils zehn Trupps. Die Trupps gehorchten dem Befehl ihres Truppführers, dieser wiederum dem Befehl des Kompaniechefs und dieser den beiden engsten Gefährten Sun Bings, Sun Wukong und Zhu Bajie. Diese unterstanden allein dem Befehl des Generals Yue Fei.
    Am Tag des Qingming-Festes richteten der General und seine beiden Gefährten bei Sonnenaufgang den Altar und das Räuchergefäß am Fuß der Brücke und hißten die große Fahne mit dem Namen des Generals. Am Abend zuvor waren die roten Turbane und Schärpen verteilt worden, und der Befehl war ausgegeben worden, daß man sich nach dem dritten Hahnenschrei am nächsten Morgen am Fuß der Brücke versammeln solle. Die Frauen waren deshalb noch mitten in der Nacht aufgestanden, um das Essen vorzubereiten. Welches Essen? Der General hatte folgende Order ausgegeben: » Heute, am Tag des Kampfes, muß gut gegessen werden. Backt Pfannkuchen, kocht tausendjährige Eier. Ein Mann, der in den Krieg zieht, kann einen Schweinemagen gut vertragen. « Um dem Ganzen noch etwas Würze zu geben, befahl er eine scharfe Sojabohnenpaste mit Bockshorn und Lauchzwiebeln zu bereiten. Den Frauen gefiel das und sie arbeiteten gern für die große Sache. Hatte doch der General gesagt: »Wer meinen Befehlen nicht folgt, der schadet uns.« Wer weiß, vielleicht würde auf dem Schlachtfeld plötzlich der Zauber aussetzen und die Waffen versagen. Der General hatte auch verlangt, daß sie in der Nacht zuvor ihre Frauen nicht anrühren dürften, sonst könnten sie am nächsten Tag nicht den Kugeln ausweichen. Da es um Leben und Tod ging, war mit seinen Befehlen nicht zu spaßen.
    Als die Vögel bereits ihres Morgengesanges müde waren, fanden sich endlich all die Helden und Gottheiten in Grüppchen zu zweit oder zu dritt am Fuß der Brücke ein. Der General stellte fest, daß es mit der Pünktlichkeit nicht weit her war. Aber sollte man die Leute deshalb bestrafen? Vor zehn Tagen waren es noch einfache Bauern gewesen, die ein freies Leben gewohnt waren. Nun befand man sich in einer für die Bauern wenig arbeitsreichen Zeit und noch dazu war es ein Festtag, es war schon viel wert, daß sie überhaupt alle gekommen waren. Und dann gab

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