Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
es sogar ganz Eifrige, die schon vor dem General selbst eingetroffen waren.
Der General sah prüfend in den wolkenverhangenen Himmel. Es war inzwischen schon später Vormittag und sein ursprünglicher Plan, die Deutschen noch im Schlaf zu überraschen, war damit hinfällig. Dennoch gab es jetzt kein Zurück mehr. Es war schwierig genug gewesen, so viele Männer zusammenzutrommeln. Glücklicherweise herrschte eine gute Stimmung. Die Leute schwatzten und lachten, ganz anders als nach der letzten Katastrophe, als so viele ihre Angehörigen verloren hatten. Sun Bing besprach sich mit seinen beiden Gefährten und entschied, sofort mit den Zeremonien vor dem Altar und der Fahne anzufangen.
Sixi, der zum persönlich Adjutanten des Generals aufgestiegen war, trug ein Katzenfell auf dem Kopf. Er schlug heftig den Gong und brachte damit die lärmende Menge zum Verstummen. Der Feldmarschall stieg auf einen Schemel und befahl: »Jeder begebe sich zu seinem Trupp und bilde eine Reihe für das Opfer vor dem heiligen Altar!«
Es entstand ein großes Durcheinander, bis jeder zu seiner Einheit gefunden hatte. Alle trugen rote Turbane und rote Schärpen um die Hüfte. Einige trugen Lanzen mit roten Quasten, andere Äxte oder Tigerschwanzpeitschen – all diese gehörten einer jüngeren Generation von geschichtlichen Helden an, in der bereits richtige Waffen benutzt wurden. Die meisten jedoch hatten sich mit gewöhnlichen Bauerngerätschaften bewaffnet: Spaten, Mistgabeln, Harken und Dreschflegeln. Doch sie waren viele: sieben- oder achthundert Mann. General Yue alias Sun Bing war nervös. Wußte er doch, daß die Truppen die Feuertaufe des ersten Gefechts brauchten, um zu reifen, so wie Eisen erst zu Stahl wird, wenn man es im Feuer schmiedet. Ein Wunder, daß er die Bauern in dieser kurzen Zeit überhaupt so weit bekommen hatte. Er selbst hatte ursprünglich keinen blassen Schimmer vom Militärwesen gehabt und mußte sich ganz auf den diskreten Rat Zhu Bajies verlassen, der in Xiaozhan, in der Nähe von Tianjin, eine Kadettenschule modernen Stils besucht hatte. Dort hatte er auch Seine Exzellenz Yuan Shikai zu Gesicht bekommen, der großes Ansehen für seine zeitgemäßen Unterweisungen in der Kunst der Kriegsführung genoß.
»Bereit für das Opfer vor dem Altar!«
Der Altar war ein symbolisch dafür hergerichteter großer Tisch, mit dem Räuchergefäß in der Mitte. Hinter dem Tisch standen zwei Fahnen, eine weiße und eine rote. Die Fahnenmasten hatte man aus frischem Weidenholz hergestellt, ohne die dunkelgrüne Borke abzuschälen. Die rote Fahne gehörte der Gottheit, bestickt mit den sieben Sternen des Großen Bären. Die weiße Fahne gehörte dem General. Sie war von den unverheirateten Töchtern des Schneiders Du mit seinem Namenszug bestickt worden. Verheiratete Frauen durften die Fahne nicht berühren, denn ihre Hände waren unrein und würden den Zauber zerstören.
Mit Beginn der Opferzeremonie setzte ein beharrlicher Nieselregen ein. Es ging kein bißchen Wind, so daß die beiden Fahnen bald naß und an den Stangen hingen. Das war nun ein kleiner Schönheitsfehler im Ablauf, aber daran war nichts zu ändern. Doch der bedeckte Himmel und der Dauerregen brachten das Rot der Turbane nur um so stärker zum Leuchten. General Yue wurde beim Anblick dieses feuchten Rots ganz aufgeregt.
Sixi schlug den Gong noch heftiger als zuvor. Der kleine Kerl war beseelt von dem jugendlichen Helden Ai Hu aus dem Abenteuerroman »Die sieben Helden und die fünf Recken«. Seine Hand war vom vielen Trommeln auf den Kupfergong schon ganz wund geworden, deshalb hatte er sie mit einem weißen Verband umwickelt. Der Klang des Gongs half den Leuten, ihre Energie zu konzentrieren. Sie wurden zunehmend ernst und feierlich und die Atmosphäre zunehmend mystisch. Sun Wukong und Zhu Bajie schleppten ein Schaf herbei, dem sie die Hufe zusammengebunden hatten, und legten es auf den großen Tisch. Das Schaf war sehr unruhig, wand den Kopf, verdrehte die Augen und stieß jämmerliche Klagelaute aus. Der Menge zog es bei diesem bemitleidenswerten Anblick das Herz zusammen. Mitleid war aber nun gänzlich fehl am Platze. Es ging schließlich darum, gleich in den Kampf zu ziehen. Hier hieß es Opfer bringen und ein Schaf töten, um sich ein gutes Omen für die bevorstehende Schlacht zu sichern. Sun Wukong drückte den Kopf des Schafs auf den Tisch und zog ihm den Hals lang. Zhu Bajie nahm ein großes Sensemesser, spuckte in die Hände, holte weit aus
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