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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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und schlug mit einem lauten »Ha!« dem Schaf den Kopf ab. Sun Wukong hielt den Schafkopf in die Höhe, damit ihn alle sahen. Das Blut schoß wie eine Fontäne aus dem abgetrennten Hals. Weihevoll fing General Yue das Schafsblut mit den Händen auf und besprengte damit die Fahnen. Er kniete nieder und machte einen Kotau. Als die Menge seinem Beispiel folgte, erhob er sich wieder und benetzte auch die Köpfe der Männer mit Schafsblut. Das Blut reichte allerdings nicht für alle  – dafür reagierten diejenigen, die etwas abbekamen, besonders enthusiastisch. Während er das Blut verspritzte, sprach der General Gebete. Es handelte sich um ein kollektives Ritual, das man zuvor abgesprochen hatte. Die Zeit war knapp, nicht jeder konnte die Asche eines in Wasser aufgelösten Talismans trinken, um sich von seinem persönlichen Schutzgott beseelen zu lassen. General Yue rief die Geister stellvertretend für alle an. Da der Zauber aber nur funktionierte, wenn man zutiefst davon überzeugt war, forderte der General die Versammelten auf, sich in einer Meditation solange auf seinen Schutzgott zu konzentrieren, bis sie einen Zustand der völligen Entrückung erreicht hätten.
    Nach einer Weile rief er: »Geister des Himmels und der Erde, ich rufe euch an, in Erscheinung zu treten. Zuerst Tangseng und Zhu Bajie, dann Shaseng und Sun Wukong, drittens Liu Bei und Zhuge Liang, dann Guan Gong und Zhao Zilong. Fünftens Ji Dian, der Herr über das Gesetz, sechstens Li Kui, der schwarze Wirbelwind, siebtens Shi Qian und Yang Xiangwu, dann Wu Song und Luo Cheng. Ich rufe Pian Que an, der Kranke heilt, und den Himmelskönig, der eine Pagode auf einer Hand balanciert, und die drei Prinzen Jinzha, Muzha und Nezha, die das Heer der Zehntausend anführen. Ich beschwöre euch, auf die Erde herabzusteigen und bei der Vernichtung der ausländischen Soldaten zu helfen, auf daß Friede einkehre in unserem Land. Ich erwarte dringend den Befehl des Jadekaisers ...«
    Übermenschliche Kräfte ergriffen plötzlich von den Männern Besitz. Ihre Adern weiteten sich, sie strotzten vor Vitalität, bekamen pralle Muskeln, stießen Kampfschreie aus und sprangen wie Wildkatzen in die Höhe. Sie schlugen mit den Armen um sich und traten mit den Beinen aus. Die rasende Meute bot ein durch und durch außergewöhnliches Bild.
    General Yue befahl: »Marsch!«
    Mit dem Dattelholzstock in der Hand übernahm er die Führung. Es folgten Sun Wukong mit der roten Flagge der Gottheit und Zhu Bajie mit der weißen Flagge des Generals sowie der jugendliche Held Ai Hu, der den Gong schlug. Auch die übrigen Gottheiten setzten sich in Bewegung, unermüdlich Kampfrufe skandierend.
    Am Südufer des Flusses Masang war der Deich, am nördlichen Ufer begann eine ausgedehnte Steppe. Das Dorf selbst war von einer Mauer umgeben. Es gab drei Tore: ein West-, ein Ost- und ein Nordtor. Die Mauer war mehr als drei Meter hoch, von einem Wassergraben umgeben und vor jedem Tor mit einer Zugbrücke versehen.
    Die Armee des Generals Yue zog zum Nordtor hinaus. Eine Schar aufgeregter Kinder, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollten, lief ihnen hinterher. Die Kinder schwangen Zweige, Halme der roten Hirse und Sonnenblumenstengel und hatten sich die Gesichter entweder mit Ruß geschwärzt oder mit roter Farbe angemalt. Sie imitierten die Erwachsenen, indem sie mit ihren zarten Stimmchen ein Gebrüll anstimmten und mit geschwellter Brust marschierten. Die Alten des Dorfes hatten sich unterdessen auf der Mauer versammelt, zündeten Weihrauch und Kerzen an und beteten für einen siegreichen Ausgang.
    Kaum waren alle Trupps aus dem Dorf heraus, wurden die Schritte des Generals schneller. Auch Ai Hu schlug seinen Gong immer hastiger und die Männer versuchten, mit seinem Rhythmus Schritt zu halten. Die Bauhütten der Eisenbahnlinie lagen nur unweit des Dorfes. Unaufhörlich ging der Nieselregen nieder, die Felder waren in Dunst gehüllt. Der Winterweizen wurde schon grün. Es roch nach feuchter Erde. Wie goldene Tupfen zeigten sich die blühenden Korndisteln auf den Rainen. Wilde Aprikosenbäume in schneeweißer Blüte säumten den Weg. Die Truppen störten ein paar Turteltauben auf, die erschrocken davonflogen. Von Ferne waren aus dem Wald die Rufe eines Kuckucks zu hören.
    Die Eisenbahnstrecke, die von Jiaozhou nach Jinan führen sollte, war zwischen Qingdao und Gaomi schon so gut wie fertiggestellt. Kalt und still lagen die Schienen in der Landschaft, wie ein böser Drache,

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