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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Schirm weg und störte mich nicht daran, welcher Affe ihn sich unter den Nagel riß. Wie ein Karpfen, der aus dem Wasser springt, ergriff ich mit beiden Händen die Seile und sprang auf das Brett. Seht her, ihr Bengel, wofür große Füße gut sind! Mit lauter Stimme rief ich: »Ich zeige euch, wie's geht, von mir könnt ihr noch was lernen!«
    Als ich mit dem Schaukeln beginne, kommt doch so eine fette und dumme Göre daher, das Gesicht schwärzer als Koks, der Hintern größer als ein Mühlstein, die Füße kleiner als eine Wassernuß  – will sie etwa auch auf die Schaukel? Für wen hält die sich, das unverschämte Ding? Wofür ist so eine Schaukel wohl da? Sie ist eine Bühne! Wer sie betritt, stellt seinen Körper zur Schau und unterhält das Publikum. Sie ist wie ein kleiner Sampan, der auf den Wellen treibt, Wind und Strömung ausgesetzt. Man muß sich gehenlassen, und dabei stellt man alle seine Reize zur Schau. Warum wohl läßt mein Patenonkel eine Schaukel auf dem Exerzierplatz aufstellen? Aus Liebe zum Volk? Pah, schön wär's! Ich sage euch, wie es ist: Diese Schaukel wurde von meinem Patenonkel nur wegen mir aufgestellt, sie ist das Geschenk des Alten für mich zum Qingming-Fest! Ihr wollt es nicht glauben? Dann geht doch und fragt ihn selbst!
    Gestern abend ging ich zu ihm, um ihm Hundefleisch zu bringen. Nachdem wir das Spiel von Wolke und Regen miteinander gespielt hatten, faßte er mich um die Taille und sagte: »Mein Schatz, mein kleiner Liebling, morgen ist das Qingming-Fest, und dein Patenonkel hat eigens für dich auf dem Exerzierplatz vor dem Südtor eine Schaukel aufstellen lassen. Dein Patenonkel weiß, daß du im Theater schon eine Kriegsheldin gespielt hast, geh hin und zeige ihnen deine Füße! Das wird, wenn nicht die ganze Provinz Shandong, zumindest ganz Gaomi erschüttern. Laß alle wissen, daß das Patenkind eines gewissen Herrn Qian eine ganz außergewöhnliche und tapfere Frau ist! Laß sie wissen, daß große Füße schöner sind als kleine, daß ein gewisser Herr der ketzerischen Ansicht ist, daß Frauen in Gaomi nie wieder ihre Füße binden sollen.«
    Ich antwortete: »Patenonkel, wegen der Sache mit meinem Vater seid Ihr betrübt, und um ihn zu schützen, habt Ihr Euch eine schwere Bürde aufgeladen. Wenn ich Euch so betrübt sehe, fällt es mir schwer, mich amüsieren zu gehen.«
    Er küßte mir die Füße und sprach gerührt: »Meiniang, mein Liebling, dein Patenonkel möchte das fröhliche Treiben des Qingming-Festes nutzen, um das ganze Unglück aus unserer Präfektur zu vertreiben. Denn die Toten werden nicht wieder lebendig, die Lebenden aber sollen sich vergnügen! Wenn du weinst, wird niemand dein Leid mit dir teilen, man wird sich nur über dich lustig machen. Du mußt härter sein als die anderen, dann werden sie dir zu Diensten sein. Man wird Theaterstücke und Romane über dich schreiben. Also steig auf die Schaukel und zeig ihnen, was du kannst! Vielleicht wird es dann eines Tages eine Katzenoper mit dem Titel ›Sun Meiniangs großer Tag auf der Schaukel‹ geben!«
    Während meine Füße mit seinem Bart spielten, sagte ich: »Wenn es ums Schaukeln geht, werdet Ihr Euch Eurer Patentochter bestimmt nicht schämen müssen.«
    Ich ergriff die Seile mit beiden Händen, ging in die Knie, stützte mich mit den Zehen auf dem Holzbrett ab und beugte mich nach vorn. Als sich die Schaukel in Bewegung setzte, richtete ich mich auf und atmete tief ein. Ich zog die Seile nach hinten, schwang mich, die Füße fest auf das Brett gedrückt, nach oben. Die Eisenringe am Gestell der Schaukel begannen laut und vernehmlich zu quietschen. Die Schaukel schwang immer höher, immer schneller und steiler, und es knirschte immer geräuschvoller ... die straff gespannten Seile pfiffen wie ein scharfer Wind, die Eisenringe quietschten zum Gotterbarmen. Ich fühlte mich leicht und frei, meine Arme waren wie zwei Flügel, auf meiner Brust schienen Vogelfedern zu wachsen. Ich ließ die Schaukel bis zum höchstmöglichen Punkt schwingen, fühlte dabei den Rhythmus, das regelmäßige Auf und Ab, das dem Wellenschlag des Ozeans glich. Welle folgte auf Welle, Gischt auf Gischt. Große Fische folgten auf kleine Fische, kleine Fische auf Garnelen, blubb, blubb, blubb ... höher und höher. Mein Körper streckte sich nach oben, bis mein Gesicht an die gelben Bäuche der Schwalben stieß, die über mir kreisten, um sich das Spektakel anzusehen, genießerisch ließ ich mich auf einem weichen Kissen

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