Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
riefen: »Seine Exzellenz der Präfekt ist da!« Die Ehrengarde machte eine Parade um den Exerzierplatz. Die Bediensteten des Yamen versuchten eine besonders gute Figur zu machen, nahmen die Schultern zurück, zogen die Bäuche ein und rollten mit den Augen. Hinter dem Bambusvorhang der Sänfte hatte ich Euren mit Rangabzeichen und Pfauenfedern geschmückten Hut entdeckt, Patenonkel, und auch einen Blick auf Euer purpurrotes Gesicht erhascht. Der Bart, der Euer Kinn ziert, ist ganz glatt und härter als Draht. Nicht einmal, wenn man ihn ins Wasser taucht, wird er weich. Euer Bart ist das Bindeglied zwischen uns beiden, das rote Liebesband, das die Heiratsvermittlerin ausgeworfen hat. Gäbe es nicht Euren Bart und den Bart meines Vaters, wie hättet Ihr wohl sonst ein Mädchen wie mich, süß wie ein Malzbonbon, kennenlernen können?
Die Amtsdiener hatten die Macht der Autorität zur Genüge demonstriert, oder besser gesagt, Ihr hattet Eure Macht zur Genüge demonstriert, Patenonkel, und habt die Sänfte am Rande des Exerzierplatzes zum Stehen kommen lassen. Die Pfirsichbäume am westlichen Rand des Platzes standen in voller Blüte. Durch den feinen Schleier des Nieselregens sahen sie aus wie puderzuckerweiße, runde Rauchwölkchen. Ein mit einem Schwert bewehrter Amtsdiener trat vor und öffnete die Sänfte, und mein Patenonkel trat würdevoll ins Freie. Er rückte seinen mit Ehrenzeichen und Pfauenfedern geschmückten Hut zurecht, schüttelte die weiten Hufeisenärmel seines langen Gewandes und grüßte, indem er vor der Brust die Faust der einen in der Innenfläche der anderen Hand legte und sich vor uns verneigte. Mit seiner lauten und klaren Stimme rief er: »Liebe Gemeindeälteste, liebe Mitbürger, ich wünsche euch ein schönes Fest!«
Ach, Patenonkel, was gebt Ihr für eine feine Vorstellung ab! Wenn ich daran denke, wie er sich mit mir im westlichen Salon zu amüsieren pflegt, muß ich lächeln. Denke ich aber daran, welchen Kummer er in diesem Frühjahr hatte, ist mir zum Weinen. Ich brachte die Schaukel zum Halten, zog mich an den Seilen hoch und stellte mich auf das Schaukelbrett. Die Lippen zusammengepreßt und mit feuchten Augen beobachtete ich mit gemischten Gefühlen die Vorstellung, die mein Patenonkel diesen Affen bot. Er fuhr fort: »Schon immer wurde in unserer Präfektur das Pflanzen von Bäumen gefördert, ganz besonders das von Pfirsichbäumen ...«
Der Gemeindevorsteher der Südstadt, der meinem Patenonkel in heller Aufregung hinterherlief, fiel ein: »Seine Exzellenz der Präfekt geht mit gutem Beispiel voran. Er nutzt die Gelegenheit, an diesem regnerischen, fröhlichen Qingming-Fest zum Wohlgefallen des Volkes einen Pfirsichbaum zu pflanzen ...«
Mein Patenonkel warf dem Wichtigtuer einen verächtlichen Blick zu und fuhr fort: »Bürger, was euch betrifft, so geht nach Hause und pflanzt vor und hinter den Häusern und am Rande der Felder Pfirsichbäume. ›Sorgt euch um euer Glück und nicht nur um die Geschäfte, lest mehr Gedichte und pflanzt mehr Pfirsichbäume.‹ In nicht einmal zehn Jahren wird dann Gaomi glücklichen Tagen entgegensehen, denn ›Tausende von Bäumen werden voll roter Pfirsichblüten sein, das Volk tanzt und singt und lebt in Frieden‹.«
Als mein Patenonkel zu Ende rezitiert hatte, nahm er einen Spaten und schaufelte ein Loch für einen Baum. Die Funken stoben, als der Spaten auf einen Stein stieß. In diesem Moment kam der persönliche Diener meines Patenonkels, Chunsheng, wie ein Ball auf ihn zugerollt. Hastig entbot er den unerläßlichen Gruß und erteilte völlig atemlos Rapport: »Euer Gnaden, etwas Furchtbares, Furchtbares ...«
»Was ist geschehen?« fragte mein Patenonkel mit besorgter Miene.
»Das aufrührerische Volk aus Dongbei hat eine Rebellion angezettelt ...«
Der Präfekt ließ sofort den Spaten fallen, schüttelte seine Hufeisenärmel nach unten und stieg gebückt in seine Sänfte. Die Sänftenträger trabten los und die Amtsdiener stolperten wie Schiffbrüchige hinterher.
Auf der Schaukel stehend folgte ich der Sänfte meines Patenonkels mit den Augen. Ich war unsagbar traurig. Vater, Ihr habt auf diesem Qingming-Fest, das sich so gut anließ, ein heilloses Durcheinander angerichtet! Ich sprang lustlos von der Schaukel herab und mischte mich unter die aufgewühlte Menge. Gleichgültig ertrug ich die Blicke dieser kleinen Herumtreiber, und wußte nicht, ob ich mich in den Pfirsichgarten zwängen sollte, um die Blütenpracht zu bewundern,
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