Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
der Kerl vor ihm die ganze Zeit über keinen Laut von sich gab. Das machte die als lebendiges und abwechslungsreiches Drama gedachte Hinrichtung zu einer wenig beeindruckenden Pantomime. Er dachte bei sich, daß er den Zuschauern vorkommen müsse wie ein Metzger, der Fleisch verkauft. Dieser Mensch namens Qian rang ihm großen Respekt ab. Außer den kaum vernehmlichen Stöhnlauten bei den ersten beiden Schnitten hatte er keinen einzigen Ton mehr von sich gegeben. Er hob den Kopf und blickte diesem martialischen jungen Mann ins Gesicht. Alles, was er sah, war dessen gerade herabfallendes Haar, seine runden Augen, deren Pupillen bläulich waren und deren Weißes ganz rot; die aufgeblähten Nasenlöcher, die fest zusammengebissenen Zähne, die mäusegroßen Muskeln, die sich auf seinem angespannten Unterkiefer abzeichneten. Er war schockiert von der tierischen Wildheit dieses Gesichts. In der Hand, die das Messer hielt, verspürte er bereits einen Muskelkater, was er nur widerwillig zur Kenntnis nahm. Gemäß den Vorschriften war im Falle eines männlichen Verurteilten bei dieser Foltermethode nach den Brustmuskeln das Genital an der Reihe. Für dieses Organ waren drei Schnitte vorgesehen, die in ihrer Größe nicht unbedingt denen entsprechen mußten, die an den anderen Stellen vorgenommen wurden. Großmutter Yu hatte gesagt, daß gemäß seiner langjährigen Erfahrung männliche Delinquenten am meisten nicht etwa die Häutung oder das Ziehen der Sehnen fürchteten, sondern das Abhacken ihrer edelsten Teile. Und das nicht etwa, weil die Schmerzen an dieser Stelle ungewöhnlich groß wären, sondern aus rein psychologischen Gründen. Die große Mehrheit der Männer würde sich lieber den Kopf abschlagen als sich ihrer Männlichkeit berauben lassen. Sein Meister hatte gesagt, ganz gleich wie tapfer einer sei – sobald man ihm das Ding zwischen seinen Beinen abschneide, sei es vorbei mit der würdevollen Haltung. Das sei vergleichbar mit einem Rassepferd, dem man die Mähne abschneidet, oder einem Hahn, dem man die Federn ausrupft. Zhao Jia vermied es, noch einmal in diese eiserne Miene zu blicken, die ihn so zu verunsichern vermochte. Er senkte den Kopf und nahm Qians herabhängenden Penis ins Visier. Das Ding hatte sich kläglich zusammengezogen, wie eine Seidenraupe, die sich in ihren Kokon zurückzieht. Er dachte bei sich: Tut mir wirklich leid, mein Freund. Mit der linken Hand ließ er die Raupe ins Freie und mit der Rechten schlug er blitzschnell zu. Zack! Und schon war es ab.
Der Lehrling verkündete laut: »Schnitt Nummer einundfünfzig!«
Er warf das gute Stück nachlässig auf den Boden und ein plötzlich Gott weiß woher aufgetauchter, dürrer Hund schnappte es sich und verschwand damit in den Reihen der Soldaten. Man hörte ihn noch ein paarmal aufjaulen, vermutlich bekam er ein paar kräftige Hiebe ab. Qian Xiongfei aber, der die ganze Zeit den Mund fest verschlossen gehalten hatte, stieß endlich einen Schrei der Verzweiflung aus.
Zhao Jia war zwar darauf vorbereitet gewesen, aber er fuhr dennoch auf vor Schreck. Es war ihm nicht bewußt, daß seine Augen wie Blitze flammten; er spürte nur, wie seine Hände brannten und anschwollen, als hätte man mit zehntausend glühenden Nadeln hineingestochen, ein unerträgliches und unbeschreibliches Gefühl. Dieser Schrei schien keinem Menschen und keinem Tier zu gehören. Er war so entsetzlich, daß man Gänsehaut bekam. Qians markerschütternder Schrei sorgte für eine große Irritation und Erschütterung unter den Soldaten und Offizieren der Rechten Armee des Kaisers. Vermutlich blieb auch Yuan Shikai nicht unbeeindruckt. Zhao Jia hatte keine Zeit, um sich nach dem Gesichtsausdruck Seiner Exzellenz Yuan und dem der hohen Offiziere umzublicken. Er hörte nur das erschrockene Schnauben der Pferde und das Gebimmel der Glöckchen, die sie um den Hals trugen. Er sah nur die Soldaten hinter dem Exekutionspfahl, denen die mit Wickelgamaschen fest umschnürten Beine schlotterten. Noch einmal entfuhr Qian ein markerschütternder Schrei. Er wand seinen Körper, und man konnte deutlich sehen, wie sein beinahe bloßgelegtes Herz wie wild schlug. Zhao Jia hörte es mit einem scheppernden Ton pochen.
Er fürchtete, dieses Herz könnte die Rippen durchbrechen und herausspringen, womit seine sorgfältig durchdachte Folterprozedur gründlich vermasselt wäre. Nicht nur das Strafministerium würde dadurch das Gesicht verlieren, auch der Ruhm Yuan Shikais würde Schaden
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