Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
nehmen. Das durfte er natürlich nicht zulassen. In diesem Moment begann der Verurteilte auch noch wie wild seinen Kopf zu bewegen und ihn mit einem dumpfen Knall gegen den Exekutionspfahl zu schlagen. Seine Augen färbten sich blutrot. Qians Gesichtszüge waren bereits dermaßen entstellt, daß jeder, der in dieses Gesicht blickte, sein Leben lang Alpträume haben würde. So etwas war Zhao Jia noch nie passiert, und auch sein Meister hatte nie etwas von vergleichbaren Vorkommnissen erzählt. Seine Hände waren schmerzhaft angeschwollen, so daß er kaum noch das Messer halten konnte. Er sah seinen Lehrling an, doch der Junge grinste nur dämlich übers ganze Gesicht und es war nicht daran zu denken, ihm die Vollendung seiner Aufgabe anzuvertrauen. Zhao Jia riß sich also zusammen und bückte sich, um nach Qians Hoden zu greifen. Diese hatten sich so sehr in den Hodensack zurückgezogen, daß er sich einen davon greifen und ihn hervorziehen mußte. Sein Messer sauste herab. »Nummer zweiundfünfzig« soufflierte er leise dem Lehrling, der etwas durcheinander wirkte, worauf dieser tief Luft holte und schleppend ausrief: »Schnitt ... Nummer ... zweiundfünfzig!«
Er ließ das Ding zu Boden fallen. Als er sah, wie scheußlich dieser abgetrennte Hoden auf der Erde aussah, überkam ihn eine nie zuvor in seiner langjährigen Praxis als Henker gekannte körperliche Empfindung: Ekel.
»Verdammter Hurensohn ... du dreckige Bestie!« Wie durch ein Wunder schien Qian Xiongfei die Kraft zu finden, plötzlich loszufluchen: »Yuan Shikai, du hinterhältiger Schuft, wenn ich dich auch im Leben nicht mehr töten kann – ich werde als böser Dämon wiederkommen und dir die Gurgel durchschneiden!«
Zhao wagte nicht, sich umzublicken. Er wußte nicht, welche Farbe das Gesicht Seiner Exzellenz Yuan hinter ihm angenommen hatte, er wollte die Sache nur so schnell wie möglich zum Abschluß bringen. Er griff sich den zweiten Hoden und schnitt ihn rasch ab. In dem Moment, als er sich wieder aufrichtete, riß Qian Xiongfei den Mund auf und biß zu. Zum Glück trug er eine Kopfbedeckung, sonst hätte der ihm wohl den Schädel durchgebissen. Trotz der Kappe erwischten Qians Zähne ein Stück von Zhao Jias Kopfhaut. Noch im nachhinein erschauerte er bei dem Gedanken, daß Qian seinen Hals hätte erwischen und sich darin hätte festbeißen können. Hätte er sein Ohr erwischt, wäre es sicher ab gewesen.
Als er den Schmerz auf seinem Schädel verspürte, schnellte er abrupt in die Höhe, direkt gegen Qian Xiongfeis Unterkiefer. Er hörte das grausige Geräusch, als Qians Zähne aufeinanderschlugen. Ihm strömte das Blut aus dem Mund und seine Zunge war nur noch eine formlose Masse, aber es gelang ihm immer noch, Verwünschungen zu lallen – deutlich genug, um zu verstehen, daß sie Yuan Shikai galten. Schnitt Nummer dreiundfünfzig. Zhao warf den Hoden weg. Vor seinen Augen tanzten Sterne, ihm war schwindlig und er fühlte bittere Galle in seiner Kehle aufsteigen. Er biß die Zähne fest zusammen und kämpfte mit aller Macht gegen die Übelkeit an. Ein Fehltritt – und der Glorienschein der ehrwürdigen Henkerszunft des Tribunals wäre ruiniert.
»Schneide ihm die Zunge ab!« Er hörte die wütende und strenge Stimme Seiner Exzellenz Yuan hinter sich. Unwillkürlich drehte er sich um und sah in sein grün und blau angelaufenes Gesicht. Yuan Shikai schlug sich auf die Knie und wiederholte brüllend seinen unumstößlichen Befehl: »Du sollst ihm die Zunge abschneiden!«
Zhao Jia hätte gern geantwortet, daß das nicht der Überlieferung der alten Meister entspreche, doch angesichts der zornesroten Miene des Generals schluckte er seine Bemerkung herunter. Was blieb ihm übrig? Da selbst die Kaiserinwitwe auf General Yuan Shikai hörte, war sein Wort mehr wert als die ehrwürdige Überlieferung. Er wandte sich also um, um sich der Zunge anzunehmen.
Qians Gesicht war bereits abnorm angeschwollen, schaumiges Blut blubberte aus seinem Mund. Es war völlig unmöglich, hier das Messer anzusetzen. Einem durchgedrehten Todeskandidaten die Zunge herauszuziehen war ungefähr so, als wolle man einem Tiger einen Zahn ziehen. Doch Zhao Jia wagte nicht, sich dem Befehl Yuan Shikais zu widersetzen. Hastig durchforstete er sein Gedächtnis nach einer passenden Unterweisung durch seinen Meister oder einen Erfahrungsbericht, doch es wollte ihm einfach nichts einfallen, was er sich zum Vorbild hätte nehmen können. Qian setzte seine lallenden
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