Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
möchtest du also gehen«, sagte der Präfekt. »Daß du in deine Heimat zurückkehren und den Ruhestand genießen möchtest, ist nur ein Vorwand. Die Wahrheit ist, daß du dich rechtzeitig aus der Affäre ziehen willst.«
    »Ihr seid sehr weise, Exzellenz«, sagte der Sekretär. »Wenn Ihr nur Eure außereheliche Affäre beenden würdet  – es wäre ein leichtes, Sun Bing zu fangen. Wenn Ihr ohne Zögern handeln würdet, könnte ich Euch weiterhin stets zu Diensten sein.«
    »Danke, ich verzichte«, sagte der Präfekt kühl. »Geh deiner Wege.«
    Der Bürovorsteher sagte mit einer Verbeugung: »Also schön, auf Wiedersehen Exzellenz. Ich wünsche Euch alles Gute!«
    »Paß gut auf dich auf.« Der Präfekt wandte sich in Richtung Hof und rief: »Chunsheng, sattle mein Pferd!«

2.
    Um die Mittagszeit ritt der Präfekt, von Kopf bis Fuß in seine Amtsuniform gekleidet, auf seinem weißen Pferd in Richtung des östlichen Stadttores. Begleitet wurde er von seinem Vertrauten Chunsheng und dem Chef der Gardetruppe, Liu Pu. Chunsheng ritt ein stämmiges schwarzes Maultier und Liu Pu eine schwarze Stute. Die Tiere, die den ganzen Winter im Stall verbracht hatten, galoppierten aufgeregt über das weite Feld und genossen die Vorfrühlingsatmosphäre, schlugen mit den Hinterläufen aus und wieherten fröhlich. Liu Pus Stute biß den weißen Hengst so ausgelassen in die Hinterbacke, daß dieser einen Satz nach vorn machte. Auf den holprigen Wegen schmolz das Eis und überall stand knöchelhoch der Schlamm. Das Pferd galoppierte zum Glück in einem nicht allzu schnellen Tempo. Der Präfekt lehnte sich nach vorn und hielt sich gut an seiner Mähne fest.
    Sie ritten in Richtung Nordosten. Nach etwa einer Stunde überquerten sie den Masang, in dem lebhaft das Frühlingswasser tänzelte, dann kamen sie auf das weite Grasland des Bezirks Dongbei. Die Nachmittagssonne schien sanft und warm, ihre goldenen Strahlen brachten das zartgrün sprießende junge Gras, das einen weichen Teppich unter den Pferdehufen bildete, zum Leuchten. Die Pferde scheuchten zahlreiche Hasen und Füchse auf, die erschrocken davonsprangen. Von weitem sahen sie das hohe Eisenbahnbett und die Arbeiter an der Bahnstrecke von Qingdao nach Jinan. Das Gefühl von Freiheit, das den Präfekten beim Anblick der endlosen Ebene und des blauen Himmels überkommen hatte, wurde durch den Anblick der Bahnstrecke empfindlich gestört. Noch einmal rief er sich die Szene des Massakers von Masang ins Gedächtnis, und ihm stockte der Atem. Er gab seinem Pferd die Sporen, und im schnellen Galopp fühlte er seine Schwermut von sich abfallen.
    Bei Sonnenuntergang hatten sie die Grenze zum Landkreis Pingdu überschritten und machten in einem Ort namens Qianqiu bei einer wohlhabenden Familie Rast. Der Herr des Hauses war ein weißhaariger Gelehrter, der einst die Beamtenprüfung auf Bezirksebene absolviert hatte, und sich dem Präfekten gegenüber äußerst ehrerbietig zeigte. Er bot seinen Gästen Tee und Tabak an und ließ einen Tisch mit Essen und Trinken vorbereiten. Es gab Kaninchenragout mit Möhren, Weißkohl und gekochten Tofu und einen Krug guten Hirseschnaps dazu. Die herzliche Gastfreundschaft des Alten bot den hehren Idealen des Präfekten zusätzliche Nahrung. Wie könnte er sich angesichts solcher Untertanen von seinen noblen Zielen abbringen lassen? Der Gastgeber nötigte die Herren, über Nacht zu bleiben, aber Qian Ding drängte zum Aufbruch. Der Alte nahm seine Hand und sagte mit Tränen in den Augen: »Exzellenz Qian, ein guter Beamter wie Ihr, der keine Mühen scheut, um sich für sein Volk einzusetzen, ist wirklich eine große Seltenheit. Das Volk von Gaomi kann sich glücklich schätzen.«
    Der Präfekt antwortete gerührt: »Verehrter Herr, ich bin nur ein kleiner Beamter und werde schließlich vom kaiserlichen Hof gut bezahlt. Das Volk setzt große Hoffnungen in mich, wie sollte ich da nicht mein möglichstes tun!«
    In der blutroten Abenddämmerung bestieg der Präfekt sein Pferd und nahm mit einer höflichen Verbeugung Abschied von dem Alten, der ihn bis zum Ausgang des Dorfes begleitet hatte. Er versetzte dem Pferd einen solchen Peitschenhieb, daß es sich mit lautem Wiehern majestätisch aufbäumte und dann elegant und wie ein Pfeil davonschoß. Qian Ding drehte sich nicht mehr um. Zahllose berühmte klassische Verse über das Thema Abschied gingen ihm durch den Sinn. Abschiedsdämmerung , Abendrot , Ödes Land , Der alte Weg , Verwitterte Bäume , Die

Weitere Kostenlose Bücher