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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Dohle ... Auch wenn es Verse voller Wehmut waren  – in diesem Moment erfüllten sie ihn mit einem wehmütigen und erhabenen, heldenhaften Gefühl.
    Sie ritten aus dem Dorf hinaus auf eine weite und öde Ebene, noch weiter und öder als die Gaomis. Das Land war flach und dünn besiedelt. Ein kaum auszumachender Weg schlängelte sich durch das hüfthohe, gelbe, raschelnde Gras. Es wurde allmählich Nacht, und die Sichel des Mondes kam zum Vorschein. Das violette Himmelszelt war wie mit unzähligen Sternbildern bestickt. Qian Ding blickte nach oben und sah das Bild des Großen Bären, die prächtige Milchstraße und zahllose Sternschnuppen, die wie Blitze den Nachthimmel durchschnitten. Mit dem vollständigen Einbruch der Dunkelheit wurde es frostig. Die Pferde wurden immer langsamer, vom schnellen Galopp verfielen sie in ein mittleres Trabtempo und vom Trab schließlich in einen gemütlichen Schritt. Der Präfekt gab seinem Pferd die Peitsche, worauf es schnaubend den Kopf hochriß und einige wilde Sätze machte, aber schon nach kurzer Zeit wieder ermüdet in ein langsames Tempo zurückfiel. Die Erregung des Präfekten ließ allmählich nach. Auch die Hitze, die er in sich gespürt hatte, nahm langsam ab. Es war windstill, und die feuchte, frostige Luft schnitt ihm wie ein scharfes Messer in die Haut. Er befestigte die Peitsche an der Sattelbrücke, ließ die Hände in seinen Hufeisenärmeln verschwinden und die Zügel lose in den Armbeugen hängen. Er krümmte sich vor Kälte und ließ das Pferd die Führung übernehmen. In dieser tiefen Einöde hörte sich das Schnauben der Pferde und das Rascheln des Grases bedrohlich laut an. Das aus fernen Dörfern zu vernehmende undeutliche Hundegebell machte die Nacht noch unheimlicher und endloser. Die Stimmung des Präfekten verdüsterte sich. Da er in aller Eile aufgebrochen war, hatte er vergessen, seine Fuchspelzweste anzuziehen, ein Geschenk seines Schwiegervaters. In Gedanken an diese Weste wurde sein Gesichtsausdruck sehr ernst. Dessen Vater, General Zeng Guofan, hatte sie einst von der Kaiserinwitwe persönlich als Geschenk überreicht bekommen. Obwohl das viele Jahre her war und die Weste nach all diesen Jahren mottenzerfressen und zerschlissen, trug er sie immer noch gern und empfand sie als besonders warm und angenehm. Wenn er an sie dachte, drängten sich ihm Erinnerungen an alte Zeiten auf.
    Er erinnerte sich an die Armut und das harte Studium während seiner Jugendzeit, an die fröhliche Zeit in der Mittel- und Oberschule, an die Glückwünsche seiner Examensgenossen zu seiner Hochzeit mit einer Enkelin aus der ehrenwerten Familie Zeng Guofans. Auch sein Studienfreund Liu Guangdi hatte ihm schriftlich gratuliert. Seine Handschrift war so energisch wie sein Charakter; er schrieb formvollendete Gedichte und Prosa. Er hatte für ihn einen antithetisch komponierten Hochzeitsspruch verfaßt: »Eingefaßte Jade und aufgereihte Perlen  – ein Mann von Talent und eine edle Schönheit.« Damals hatte er in eine strahlende Zukunft geblickt. Doch wie hieß es im Sprichwort: »Ein toter Präfekt ist weniger wert als eine lebende Ratte.« Sechs Jahre lang hatte er im Ministerium für öffentliche Arbeiten vor sich hinvegetiert, so arm, daß nur die Armut in seinen Taschen klimperte. Dank des hohen Ansehens der Familie seiner Frau war es ihm schließlich gelungen, sich einen Posten in der Provinz zu verschaffen. Doch erst nach vielen weiteren Jahren auf unbedeutenden Posten ergatterte er diese Stelle als Präfekt von Gaomi, die man als einigermaßen lukrativ bezeichnen konnte. Nachdem er dieses Amt angetreten hatte, wollte er nun endlich seine Fähigkeiten unter Beweis stellen und durch eine erfolgreiche Amtsführung ein wenig weiter in der Hierarchie aufsteigen. Doch schnell war ihm klar geworden, daß es in dieser von Ausländern versklavten Provinz mit dem Aufstieg nichts werden würde, ganz zu schweigen von einem Aufstieg in einen höheren gesellschaftlichen Rang. Hier mußte man froh sein, wenn man es schaffte, sich im Amt zu halten. Wohlan, die kaiserliche Dynastie geht ihrem Ende zu, dachte Qian Ding, die talentierten und loyalen Beamten werden aufgegeben, die alte Krüge zerbrechen und es bleibt einem nichts anderes übrig, als mit dem Strom zu schwimmen und darauf zu achten, daß man sich seine Integrität bewahrt ...
    Das plötzliche Schnauben und Tänzeln seines Pferdes riß Qian Ding aus seinen Gedanken. Unweit vor sich, im dichten Gras, sah er zwei Paar

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