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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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doch ihr werdet für immer in die Geschichte eingehen! Er fühlte, wie sie langsam wieder warm wurden. So ist es gut, meine Liebsten, wir werden hier geduldig warten, bis die Exzellenz zurück ist und heute in einem Jahr wird man den Jahrestag seines Todes feiern. Die Soldaten in seinem Rücken wurden immer unruhiger. Die Reiter froren und hatten Hunger und den Pferden ging es nicht anders. Kühl fuhr Xiongfeis Blick über die Reihen der Offiziere: Sie sahen so kläglich aus, als könnten sie jeden Moment vom Pferd fallen. Die Pferde waren nervös, sie wieherten und stießen einander an, es herrschte eine permanente Unruhe. Kaum hatte sich die Atmosphäre beruhigt, ging es von neuem los. Himmel, steh mir bei, dachte Xiongfei. Jetzt sind zum Glück sind alle müde. Wenn aller Aufmerksamkeit auf dem Tiefpunkt ist, ist der richtige Augenblick gekommen.
    Schließlich vernahm man vom Oberlauf des Flusses her Motorengeräusch. Xiongfei geriet in Aufregung. Unwillkürlich griff er wieder nach seinen Pistolen, doch er ließ sie gleich wieder los. »Seine Exzellenz Yuan ist zurück«, verkündete er laut und mit gespielter Freude den Soldaten und den Kollegen. Die Offiziere rissen sich zusammen; einige putzten sich die Nase oder wischten sich über die tränenden Augen, andere räusperten sich. Jeder war nach Kräften bemüht, einen guten Eindruck auf den heimkehrenden Oberbefehlshaber zu machen.
    Der pechschwarze kleine Dampfer bog um die Ecke, aus dem Schornstein auf seiner Steuerbordseite stieg dichter, dunkler Rauch, und man hörte ein ohrenbetäubendes Stampfen und Pfeifen. Der Bug teilte das Wasser und produzierte weißen Schaum und große Wellen, die klatschend ans Ufer schlugen.
    Mit lauter Stimme befahl Xiongfei: »Kavallerie, bildet zwei Reihen!« Die Reiter lenkten geschickt ihre Pferde und reihten sich im Abstand von je zehn Schritt zueinander am Ufer auf. Sie saßen aufrecht in ihren Sätteln und präsentierten das Gewehr mit der Mündung nach oben, in Richtung des blauen Himmels.
    Das Musikcorps begann eine Begrüßungsmelodie zu spielen.
    Das Dampfschiff drosselte die Geschwindigkeit und näherte sich in einer Zickzackbewegung dem Pier.
    Xiongfei fingerte nach den Pistolen an seiner Hüfte. Ihr Zittern fühlte sich an wie das zweier gefangener Vögel  – nein, es war das Zittern zweier Frauen. Ihr Lieben, keine Panik. Bloß keine Panik.
    Das Schiff näherte sich dem Pier und ließ laut die Sirene ertönen. Zwei Matrosen warfen die Taue an Land, die einige Helfer auffingen und an den Eisenringen auf dem Pier festmachten. Die Maschine stoppte. Dann kamen einige Stabsoffiziere aus der Schiffskabine heraus und stellten sich zu beiden Seiten der Tür auf. Yuan Shikai streckte seinen Kopf aus der Kabinentür.
    Xiongfei spürte, wie die Waffen in seiner Hand erneut zu zittern begannen.

5.
    Vor etwas mehr als zehn Tagen, als die Nachricht von der Hinrichtung der Sechs Heroen der Hundert-Tage-Reform sich in der Kaserne von Xiaozhan verbreitete, war er gerade dabei gewesen, im Schlafsaal seine Pistolen zu reinigen. Sein Offiziersbursche kam zur Tür hereingelaufen: »Kommandant, Seine Exzellenz Yuan ist da!«
    Xiongfei beeilte sich, fertig zu werden, doch schon trat Yuan Shikai ins Zimmer. Er erhob sich, die Hände noch voller Schmieröl. Sein Herz raste. Hinter dem General sah er vier Männer der Leibgarde, alle von riesiger Statur, die Finger an den Abzügen ihrer Waffen. Auch als Befehlshaber über die Kavallerie hatte er keinerlei Befehlsgewalt über diese vier Soldaten, die aus der Heimatprovinz des Generals stammten. Er stand stramm und erstattete Bericht: »Euer Diener wußte nichts von der Rückkehr Seiner Exzellenz und war nicht darauf vorbereitet, Euch zu empfangen. Ich bitte um Vergebung!«
    Yuan Shikai warf einen Blick auf die auseinandergenommenen Pistolen auf dem Tisch, lachte vielsagendend und fragte: »Kommandant Qian, warum so in Eile?«
    »Ich war gerade dabei, die Waffen zu putzen.«
    »Das ist nicht richtig«, erwiderte Yuan Shikai höhnisch. »Du solltest besser sagen, du warst gerade dabei, deine Frau und deine Konkubine zu waschen.«
    Xiongfei lachte unsicher.
    »Ich habe gehört, du sollst in Kontakt mit Tan Sitong gestanden haben?«
    »Wir sind uns einmal über Meister Nanhai begegnet.«
    »Wirklich nur ein einziges Mal?«
    »Ich würde Euch niemals belügen.«
    »Wie ist deine Einschätzung in bezug auf diese Person?«
    »Exzellenz«, sagte Xiongfei in festem Ton, »meiner Meinung nach ist

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