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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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sich an irgend etwas festzuhalten. Doch seinen Armen fehlte es bereits an Kraft ...

Kapitel 13:
Die zerstörte Stadt

1.
    Vier Männer trugen die Sänfte des Präfekten auf dem Weg nach Masang. Um seine Macht zu demonstrieren, ließ er sich von zwanzig Soldaten begleiten, davon die eine Hälfte Bogenschützen und die andere Gewehrschützen. Als sie aus der Stadt heraus waren und den Exerzierplatz der Tongde-Akademie erreichten, konnte er dort zweihundertvierzig deutsche Soldaten beim militärischen Drill beobachten. Es waren Männer von eindrucksvoller Größe und Disziplin, die auffällige Uniformen trugen und in regelmäßigen Abständen markerschütternde Schreie ausstießen. Der Präfekt zuckte innerlich zusammen. Was ihn erschreckte, war weniger das imposante Auftreten der Soldaten selbst, sondern eher die Mausergewehre in ihren Händen und die zwölf Artilleriefeuerkanonen der Marke Krupp, die am Rande des Platzes aufgestellt waren. Sie sahen aus wie große Schildkröten mit glänzenden Panzern, die ihre Hälse gen Himmel reckten. Ihre eisernen Räder wirkten ungeheuer schwer. Vor einiger Zeit, als Seine Exzellenz Yuan seinen Posten in Jinan angetreten hatte, war er zusammen mit einem Dutzend weiterer Präfekten seines Ranges zu einem Besuch bei der neuen, aus fünftausend Mann bestehenden Armee eingeladen worden, die in Xiaozhan, in der Nähe von Tianjin, postiert war. Danach hatte er das Gefühl gehabt, seinen Horizont beträchtlich erweitert zu haben. Er war zu dem Schluß gekommen, daß sein Land mittlerweile einen Militärapparat auf die Beine gestellt hatte, der es durchaus mit den ausländischen Mächten aufnehmen konnte. Verglichen allerdings mit der Ausstattung der deutschen Truppen, die sich nun seinen Augen darbot, wurde ihm klar, daß die neue chinesische Armee, trotz ihrer deutschen Waffen und der deutschen Instruktionsoffiziere, nicht mehr als zweitklassig war. Warum sollten die Deutschen auch ihre Feinde mit den fortschrittlichsten Waffen ausstatten? Exzellenz Yuan, Ihr seid mir ein schöner Idiot, dachte er bei sich.
    Tatsächlich war der Idiot in diesem Fall allerdings kein anderer als Qian Ding selbst. Denn Seine Exzellenz Yuan hatte nicht die geringste Absicht, mit seiner neuen Armee gegen die ausländischen Truppen in die Schlacht zu ziehen.
    An jenem Tag auf dem Truppenübungsplatz in Jinan hatte Yuan drei Kanonensalven abfeuern lassen. Von der Mitte des Platzes aus waren die eisernen Kugeln über den Fluß und über einen Hügel auf der anderen Seite des Flußufers geflogen. Der Präfekt und seine Kollegen wurden von General Yuan auf Pferden bis zur Einschlagstelle geführt. Dort begutachteten sie die drei etwa siebzig Zentimeter tiefen Krater. Die Explosion hatte die Kiesel, die das Ufer bedeckten, in winzige Teile zerrissen; einige Splitter waren mehrere Meter weit geflogen und hatten dabei armdicke junge Bäume unweit des Ufers gefällt. Aus den frischen Baumstümpfen quoll der Saft. Die Präfekten schnalzten voll aufrichtiger Bewunderung mit der Zunge. Jetzt aber kamen Qian Ding jene Kanonen nur wie Miniaturausgaben der Artilleriekanonen vor, die er auf dem Exerzierplatz der Tongde-Militärakademie sah. Qian Ding begriff nun, warum Seine Exzellenz Yuan den exzessiven Forderungen der Deutschen so bedingungslos Folge leistete. Er begriff auch, warum sich Yuan Shikai im Fall von Sun Bing wie ein Speichellecker der ausländischen Autoritäten gebärdete, ihnen gegenüber den gehorsamen Sohn mimte, während seine eigenen Kinder von ihnen mißhandelt wurden. Was hatte er in einer Bekanntmachung an die Bevölkerung von Gaomi gesagt? »... Ihr solltet wissen, daß die Deutschen über eine starke Kriegsflotte und ausgezeichnete Waffen verfügen, die sie unbesiegbar machen. Ihr habt euch einer großen Verfehlung schuldig gemacht und habt sie bitter bezahlen müssen. Wer nur ein bißchen Verstand hat, der bedarf nicht erst meiner Ermahnungen, um den Ernst der Lage zu begreifen. Ihr solltet das Sprichwort ›Ehrlichkeit ist die Mutter der Beständigkeit, Starrköpfigkeit ist die Quelle aller Ärgernisse‹ kennen. Ich hoffe, daß ihr diese Maxime in Zukunft beherzigen werdet ...«
    Wenn er seine eigenen Bogenschützen- und Luftgewehreinheiten, auf die er einmal so stolz gewesen war, mit dieser deutschen Armee verglich, verloren sie all ihren Glanz. Die Soldaten selbst fühlten sich unbehaglich und hätten am liebsten vor Scham die Köpfe eingezogen. Als sie an der deutschen Militärakademie

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