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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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seinem. Dabei flüsterte sie in einschmeichelndem Ton: »Ich verwöhne dich Tag und Nacht, und du willst meinen Vater nicht retten können?«
    »Gut«, sagte der Präfekt. »Auch am Fuß eines Riesengebirges findet sich ein Weg, und auch mit Gegenwind kann ein Schiff weitersegeln. Meiniang, das Qingming-Fest steht vor der Tür und ich werde wie im vergangenen Jahr eine große Schaukel auf dem südlichen Exzerzierplatz aufstellen lassen, damit du deinen Spaß hast. Ich werde auch Pfirsichbäume pflanzen, um dem Volk meine Gunst zu zeigen. Ach, Meiniang! Dieses Jahr kann ich das alles noch tun, doch wer weiß, was beim nächsten Qingming-Fest geworden ist?«
    »Exzellenz, nächstes Jahr um die gleiche Zeit werdet Ihr zum Bezirkspräfekten aufgestiegen sein, ach was, Ihr werdet einen noch höheren Rang haben und alle werden Euch bewundern!«

10.
    Als der Präfekt erfuhr, daß Sun Bing sich die Feiertagsruhe des Qingming-Festes zunutze gemacht hatte, um die Bauern zu mobilisieren und die Baracken für den Eisenbahnbau anzugreifen, war sein Kopf für einen Moment völlig leer. Ohne ein Wort zu sagen, ließ er den Spaten fallen, mit dem er eben die Erde ausheben wollte, um Pfirsichbäume zu pflanzen, und rief die Sänftensträger. Er hatte das untrügliche Gefühl, daß seine politische Karriere zu Ende war.
    Bei der Ankunft im Yamen wandte er sich an die Schreiber und Sekretäre, die sich aufgeregt um ihn scharten: »Freunde, meine Karriere scheint an ihrem Ende angekommen zu sein. Wenn ihr möchtet, dann könnt ihr hierbleiben und auf meinen Nachfolger warten. Wenn nicht, solltet ihr euch schleunigst aus dem Staub machen!«
    Alle blickten sich an und waren für einen Augenblick sprachlos.
    Mit einem bitteren Lachen wandte der Präfekt sich um und ging in seine Schreibstube. Die schwere Tür schlug mit einem lauten Knall zu und wurde von innen verriegelt.
    Der Finanzsekretär stellte sich an das Fenster der Schreibstube und sagte laut »Exzellenz, wie sagt das Sprichwort: ›Wenn die Soldaten da sind, muß man sich wehren, und wenn das Wasser steigt, baut man Dämme‹. Kurz gesagt, der Himmel wird uns immer einen Ausweg zeigen. Denkt an die vielfältigen Möglichkeiten, die Euch bleiben.«
    Der Präfekt gab keine Antwort.
    Der Finanzsekretär sagte leise zu Chunsheng: »Lauf schnell in die hinteren Gemächer und hole die gnädige Frau, sonst passiert noch ein Unglück.«
    Der Präfekt entledigte sich seiner Amtskleidung und warf sie zu Boden. Er nahm seinen Hut ab und schleuderte ihn in die Ecke. Er redete mit sich selbst: »Ohne Amt fühlt man sich leichter und ohne Kopf verschwinden alle Sorgen. Kaiser und Kaiserinwitwe, Euer Untertan hat in seiner Loyalität Euch gegenüber versagt. Exzellenzen Yuan, Tan und Cao, Euer ergebener Diener kann seine Pflichten Euch gegenüber nicht vollständig erfüllen. Gnädige Frau, Euer Gatte wird seiner Verantwortung Euch gegenüber nicht gerecht. Meiniang, meine Geliebte, ich kann nicht weiter die Freuden der Lust mit dir teilen. Sun Bing, du verdammte Kanaille, du blöder Sturkopf, nur dich habe ich nie im Stich gelassen.«
    Er stieg auf einen Schemel, knüpfte sein seidenes Gürtelband auf und schlang es um den Deckenbalken, zog eine Schlinge und steckte seinen Kopf hinein. Dabei achtete er darauf, daß sein Bart nicht eingezwängt wurde. Durch die Löcher, die die Spatzen in die Papierfenster vor Rosetten der Fenstergitter gemacht hatten, sah er den dunstigen Himmel, die silbrigen Fäden des Nieselregens und die im Regen wartenden Schreiber, Sekretäre, Diener und Wachposten. Er sah die unter den Dachvorsprüngen der westlichen Empfangshalle nistenden Schwalbenpaare, hörte das feine Plätschern des Regens und das Zwitschern der Schwalben, und der ganze Reichtum des Lebens schien zu ihm hereinzudrängen. Der leichte Frühlingsfrost ließ ihn erschauern. Dann übermannte ihn die Sehnsucht nach dem warmen Körper Meiniangs. Jeder Zoll seines Körpers verlangte nach ihr. »Frau, ach Frau, du bist so bezaubernd, so wunderschön! Ich wußte, daß ich meine Karriere für deinen Körper ruinieren würde, aber ...« Wenn er sich weiterhin diesen Gedanken überließe, würde er den Mut verlieren, sich von dieser Welt für immer zu verabschieden. Er riß sich zusammen und stählte sein Herz. Er trat den Schemel um. Undeutlich vernahm er den Schrei einer Frau, Ja, es war eine Frauenstimme  – war es die seiner Frau oder die Meiniangs? Reue überkam ihn, und er versuchte mit aller Macht

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