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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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übernatürliche Kräfte,
    Keine Waffe kann uns etwas anhaben ...«
    Als der Präfekt offenes Gelände erreichte, begann er zu laufen. Wie eine Herde Schafe rannten die Sänftenträger und die Soldaten ihm hinterher. Sie konnten den furchtbaren Gestank riechen, der ihrem Herrn anhaftete. Er war lächerlich, aber sie wagten nicht zu lachen. Sie wagten nicht zu lachen, nicht zu weinen, nicht zu fragen und rannten einfach blindlings hinter ihm her. Am Ufer des Masang angekommen, sprang der Präfekt ins Wasser, das nach allen Seiten hochspritzte. Chunsheng und Liu Pu schrien unisono: »Exzellenz  –!«
    Sie dachten, er hätte sich ins Wasser gestürzt, um sich zu ertränken, und wollten ihm schon hinterherspringen, als sie seinen Kopf aus den Fluten auftauchen sahen. Es war gerade erst der vierte Monat, die Luft war noch frostig, das Wasser eiskalt und klar. Qian Ding entledigte sich seiner Amtskleidung und wusch sie im Wasser sauber, dann nahm er seinen Hut ab, um ihn auszuspülen. Endlich sauber, stieg er zitternd und bibbernd wieder aus dem Fluß. Er schüttelte sich vor Kälte. Chunsheng lieh ihm seine Jacke, die er sich umhängte, und Liu Pu seine Hose. So zwängte er sich in die Sänfte. Chunsheng hatte Qian Dings Beamtenrobe auf das Dach der Sänfte gelegt und seinen Hut an die Tragstange gehängt. Die Träger hoben rasch die Sänfte auf und machten sich auf den Weg, gefolgt von den Soldaten der Präfektur, und so eilte der ganze Troß zurück in die Kreisstadt. Qian Ding saß in der Sänfte und dachte: »Verdammt noch mal, ich komme mir vor wie in der Rolle eines treulosen Ehemanns aus einem verfluchten Operndrama!«

3.
    Daß die Deutschen Sun Meiniang festhielten, war natürlich eine Lüge gewesen  – oder vielmehr eine handfeste Befürchtung, denn wenn Sun Bing sich weiter stur stellte, würden die Deutschen früher oder später wirklich auf diesen Gedanken kommen. Am nächsten Tag erwarteten der Präfekt, Gouverneur Knobel und ihr Gefolge Sun Bing am verabredeten Ort. Qian Ding hatte Knobel nicht in den fingierten Plan zum Austausch von Geiseln eingeweiht und ihm erzählt, Sun Bing hätte sich einsichtig gezeigt und sei bereit, die Geiseln auszuhändigen. Knobel zeigte sich über die Neuigkeiten höchst erfreut und ließ ihm über seinen Dolmetscher sagen, im Falle der erfolgreichen Übergabe der Geiseln werde er sich bei Seiner Exzellenz Yuan Shikai für ihn verwenden. Qian Ding rang sich ein dankbares Lächeln ab und versuchte, seine Nervosität zu verbergen. Er hatte während des seltsamen Gesprächs mit Sun Bing am gestrigen Tag das ungute Gefühl gehabt, daß die Geiseln nicht in bester Verfassung waren. Es war ein reines Glücksspiel. Niemand wußte etwas von seiner Lüge, nicht einmal Chunsheng und Liu Pu, die er lediglich angewiesen hatte, eine kleine Sänfte mit zwei Trägern bereitzustellen, in die sie einen schweren Stein legen sollten.
    Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und Knobel wurde zunehmend ungeduldiger. Immer wieder zog er seine Taschenuhr heraus, um die Zeit zu überprüfen, und der Dolmetscher hörte nicht auf zu fragen, ob auch wirklich alles in Ordnung sei und Sun Bing sie nicht zum Narren halte. Der Präfekt wich den Fragen aus und fühlte sich wie auf glühenden Kohlen. Nach außen hin gab er sich jedoch fröhlich und gelassen. Er sagte zu dem Dolmetscher mit dem Spitzbart: »Wären Sie so freundlich, Herrn Knobel zu fragen, wie es kommt, daß seine Augen grün sind?«
    Der Dolmetscher stammelte etwas und wußte nicht recht, wie er reagieren sollte. Qian Ding lachte laut.
    Zwei Elstern ließen aus einer Weide am Flußufer ihr krächzen hören. Ihr schwarzweißes Gefieder hob sich deutlich von den hellgrünen Blättern der Weide und den gelben Blütendolden ab. Ein paar Bauern, Karren ziehend oder Lasten tragend, tauchten an der gegenüberliegenden Seite des Flusses auf. Als sie die Brücke betreten wollten, erblickten sie Knobel, der auf seinem stattlichen Pferd thronte, und daneben den Präfekten in seiner Sänfte; da machten sie kehrt und liefen, von Panik ergriffen, davon.
    Punkt zwölf Uhr war von Norden her der Klang einer Musikkapelle zu hören. Knobel sah durch seinen Feldstecher, und auch der Präfekt beschattete sich mit der Hand die Augen und spähte in die Ferne. Er hörte, wie der Deutsche neben ihm laut in gebrochenem Chinesisch ausrief: »Qian, meiyou, niemand da!«
    Qian Ding lieh sich das Fernglas und erkannte die sich nähernden Truppen. Sun Bing, in seinem

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