Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
zerschlissenen Theaterkostüm, mit dem Dattelholzstock in der Hand, ritt auf seinem alten Gaul. Ein kaum zu deutendes Lächeln umspielte seine Gesichtszüge; man hätte es sowohl dämlich als auch verschlagen nennen können. Natürlich schritt vor dem Gaul der wild herumfuchtelnde Zhang Bao und dahinter der unerschrockene Wang Heng. Auch Sun Wukong und Zhu Bajie begleiteten ihn. Etwas weiter hinten kamen vier Musiker mit Suonas und Trompeten. Diesen folgte ein von einem Maultier gezogener Karren mit Holzrädern, der eine Strohhütte transportierte. Das Schlußlicht bildeten einige Dutzend mit Stöcken und Schwertern bewaffnete junge Männer mit roten Turbanen. Nur von deutschen Soldaten war nichts zu sehen.
Dem Präfekten wurde es ganz kalt ums Herz und alles verschwamm vor seinem Blick. Er klammerte sich an die Hoffnung, daß sich die Geiseln in der Strohhütte auf dem Karren befanden. Er gab das Fernglas an Knobel zurück und wich seinem besorgten Blick aus. Insgeheim nahm er Augenmaß an der Hütte. Konnten drei große deutsche Soldaten in dieser Hütte Platz finden? Theoretisch, so sagte er sich, gab es zwei Möglichkeiten: Entweder behandelte Sun Bing seine Gefangenen so höflich, daß er sie auf einem Karren transportieren ließ, oder in diesem Karren befanden sich nur noch verstümmelte Leichen. Qian Ding war alles andere als ein abergläubischer Mensch, doch jetzt sandte er ein Stoßgebet zum Himmel: Götter, steht mir bei und macht, daß die drei Deutschen heil und unversehrt aus dieser Hütte treten. Es macht nichts, wenn sie nicht mehr laufen können, solange noch ein Hauch Leben in ihnen ist. Dann haben wir die Chance, diese Angelegenheit zu einem einigermaßen diplomatischen Ende zu bringen. Wenn uns aber drei Leichen präsentiert werden ... Er wagte nicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Es würde wahrscheinlich in einem Blutbad enden, einem fürchterlichen Massaker, und von einer Beförderung konnte dann ohnehin keine Rede mehr sein.
Während Qian Ding sich seinen Überlegungen hingab, rückte der Troß um Sun Bing langsam näher. Auch ohne Fernglas konnte man jetzt jedes Detail erkennen. Qian Dings ganzes Augenmerk galt dieser mysteriösen Hütte. Der Karren holperte über den Weg. Seine Räder quietschten. Auf den ersten Blick wirkte er beladen, aber nicht besonders schwer. Am Fuß der Brücke angelangt, machte der Troß halt, und die Musiker hörten auf zu spielen. Vom Deich herunter rief Sun Bing in seiner affektierten Opernstimme: »Ich bin General Yue Fei der Großen Song-Dynastie. Der fremde General auf der anderen Seite möge mir rasch seinen Namen nennen!«
Qian Ding rief zurück: »Sun Bing, laß sofort die Geiseln frei!«
»Dieses Hundegesicht soll zuerst meine Tochter freilassen!«
»Sun Bing, ich will dir die Wahrheit sagen. Sie haben deine Tochter gar nicht gefangengenommen.« Der Präfekt hob den Vorhang der kleinen Sänfte und sagte: »Hier ist niemand – nur ein Stein.«
»Ich habe gleich gewußt, daß du lügst«, sagte Sun Bing lachend. »Ich habe überall meine Spione, ich weiß genau über eure Machenschaften Bescheid.«
»Wenn du die Geiseln nicht frei läßt, kann ich für Meiniangs Leben nicht garantieren!« sagte der Präfekt.
»Wir haben schon lange keine enge Beziehung mehr, es ist mir gleich, ob sie stirbt oder nicht, das soll deine Sorge sein«, sagte Sun Bing. »Aber ich bin ein großmütiger Mensch und trotz der Unmenschlichkeit dieses ausländischen Bastards will ich meine eigene Rechtschaffenheit unter Beweis stellen. Nun habe ich die drei deutschen Hunde schon hergebracht, dann kann ich sie auch freilassen.«
Sun Bing gab den Leuten hinter ihm einen Wink. Drei Jutesäcke wurden aus der Hütte gezogen und zur Brücke getragen. Der Präfekt stellte fest, daß sich in den Säcken etwas bewegte und seltsame Laute von sich gab.
Die Männer hielten etwa in der Mitte der Brücke an und warteten auf weitere Weisungen. Endlich rief Sun Bing: »Laßt sie frei!«
Die Männer öffneten die Jutesäcke, packten sie an ihren Enden und schüttelten sie aus. Heraus kamen zwei Schweine, in deutsche Militäruniformen gekleidet, und ein weißer Hund mit einem deutschen Soldatenkäppi auf dem Kopf. Bellend beziehungsweise grunzend liefen sie auf Knobel zu wie Kinder, die Zuflucht beim Familienoberhaupt suchen.
Sun Bing sagte mit großem Ernst: »Sie haben sich in einen Hund und zwei Schweine verwandelt.«
Seine Gefolgsleute echoten im Chor: »Sie haben sich in einen
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