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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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braven Kerl gewandt, der an Stelle meines Vaters zu sterben bereit ist, sagt er: »Und du, Kleiner Berg, hast genug geschlafen, würde ich sagen. Steh auf, der Meister hat für dich einen Krug guten Wein und ein gebratenes Hühnchen, das wir uns zusammen schmecken lassen werden, um Abschied zu nehmen. Wenn du dich anders entschieden hast, ist es gut, dann finde ich einen anderen. Es ist wirklich eine heldenhafte Tat, die dir langen Nachruhm bescheren wird. Ich weiß, daß du ein guter Sänger bist, du warst der Lieblingsschüler von Sun Bing, deine Stimme klingt wie seine, und auch sonst gleichst du ihm beinahe aufs Haar. Meiniang, sieh ihn dir genau an und sage mir, ob dieser Kerl hier deinem Vater ähnlich sieht oder nicht!«
    Träge richtet sich der Mann auf, gähnt ausgiebig, dann wischt er sich die Spucke aus den Mundwinkeln, reißt sich zusammen und wendet mir sein grobschlächtiges Gesicht zu. Tatsächlich gleicht seine Augenpartie ganz der meines Vaters und auch seine Nase ist ähnlich groß wie seine. Nur der Mund ist ganz anders. Meine Vater hat volle Lippen, die Lippen dieses Mannes sind dünn. Aber wenn man ihm die Kleider meines Vaters anzieht, merkt man nichts mehr von diesen kleinen Unstimmigkeiten. Er sieht aus wie Sun Bing.
    »Ich hab etwas Wichtiges vergessen«, sagt der Siebte Kleine Hou, ein wenig verlegen, »der Vierte Herr bestand darauf, daß ich es Euch ausrichte: Sun Bing hat nach seiner Verurteilung eine Salve derber Verwünschungen losgelassen. Das hat Knobel derart provoziert, daß er ihm mit dem Gewehrkolben zwei Zähne ausgeschlagen hat ...«
    Alle Blicke richten sich auf den Mund des Kleinen Bergs. Zwischen seinen Lippen zeigt sich eine Reihe ordentlicher Zähne. Bettler haben meistens gute Zähne, die sind gestählt von so viel schlechtem Essen.
    Der Achte Zhu sagt: »Du hast es gehört, Kleiner Berg, denk darüber nach. Ich zwinge dich zu nichts.«
    Der Kleine Berg macht den Mund auf, wie um uns noch einmal von der Qualität seiner Zähne zu überzeugen, und sagt: »Meister, mit mir ist es doch sowieso vorbei, was kümmern mich da zwei Zähne mehr oder weniger?«
    »Du bist sehr tapfer, Kleiner Berg, du bist wirklich ein rechter Schüler deines Meisters«, sagt der Achte Zhu gerührt. Immer noch bewegt er zwischen seinen Händen das Säckchen mit den Glühwürmchen, deren matter Schein seinen struppigen grauen Bart zum Leuchten bringt.
    »Meister«, sagt der Kleine Berg, indem er sich mit den Fingernägeln auf die Zähne trommelt, »sie tun mir jetzt schon weh. Bringt den Wein und das Essen!«
    Einige der Bettler gehen schnell das Hühnchen holen, das in frische Lotusblätter eingewickelt ist, und einen Krug Wein dazu. Wie gut es riecht! Ich muß dabei an das bevorstehende Mittherbstfest denken. Das Mondlicht fällt in den Tempel, und ich sehe, wie die öligen Lotusblätter geöffnet werden und das knusprige, goldbraune Fleisch zum Vorschein kommt. Zwei kleine schwarze Weinschalen werden danebengestellt. Der Achte Zhu läßt das Säckchen mit den Glühwürmchen in seiner Jacke verschwinden und greift mit seinen Händen  – ich bemerke, wie lang und agil seine Finger sind, es sind redegewandte Finger  – nach dem Krug, um die Schalen mit Wein zu füllen. Er rutscht näher an den Kleinen Berg heran, diesen Mann, der ins Gefängnis gehen wird und für meinen Vater sterben soll. Der Achte Zhu hält ihm die eine Schale vor die Nase.
    Der Kleine Berg sagt verlegen: »Meister, wie kann ich es zulassen, daß Ihr mich bedient?«
    Der Achte Zhu nimmt sich die zweite Schale und prostet ihm laut zu. Die beiden Männer sehen sich tief in die Augen. Aus ihren Augen scheinen Funken zu sprühen wie beim Reiben eines Feuersteins. Ihre Lippen zittern, als wollten sie etwas sagen, aber keiner sagt ein Wort. Sie führen ihre Schalen an die Lippen und stürzen gluckernd den Wein die Kehlen hinunter. Dann reißt Zhu eigenhändig ein Hühnerbein mit knuspriger Haut daran ab und hält auch das dem anderen hin. Kleiner Berg greift zu und scheint etwas sagen zu wollen, aber er schweigt, und mit zwei Bissen hat er das Fleisch verputzt. Ich würde gerne nach Hause eilen, um ihm ein gutes Hundebein zu kochen, aber dazu bleibt keine Zeit mehr, denn man bräuchte einen ganzen Tag dafür. Als er fertig ist, nagt der Kleine Berg noch den Knochen ab, wie um uns seine kräftigen Schneidezähne vorzuführen. Er sieht aus wie ein Eichhörnchen auf einer Kiefer beim Nüsseknacken. Seine gelben Zähne sind so

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