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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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verantwortlich ist, bestochen. Wir werden deinen Vater durch einen anderen ersetzen. Der dort«  – er deutet auf einen Bettler, der, an die Wand gekauert, schnarchend auf dem Boden liegt  – »wird an seiner Stelle sterben.« »Er hat schon lange genug gelebt und sieht deinem Vater einigermaßen ähnlich. Er hat sich freiwillig dafür gemeldet. Natürlich werden wir ihm anschließend eine Gedenktafel widmen und jeden Tag Räucherwerk für ihn abbrennen.«
    Ich knie mich hin und mache einen Kotau in Richtung dieses Bettlers. Mit Tränen in den Augen und mit einer Stimme, die mir vor Rührung zittert, sage ich: »Onkel, Eure Großherzigkeit ist größer als die des Himmels. Für eine gute Sache sein Leben zu lassen zeugt von hoher Moral. Ihr seid ein Held für alle Zeit, Ihr verkörpert die große Gerechtigkeit. Es berührt mich sehr und ist mir peinlich, daß Ihr für meinen Vater sterben wollt. Wenn mein Vater überlebt, werde ich ihn veranlassen, Euch in einer Oper zu verewigen, damit Ihr der Nachwelt auf ewig erhalten bleibt ...«
    Der Mann öffnet kurz die Augen, die an die Augen einer betrunkenen Katze denken lassen, dreht sich um und schläft weiter.

2.
    Bei Anbruch der Nacht schrecke ich aus einem Alptraum auf. In meinem Traum sah ich ein sehr kultiviertes, elegantes schwarzes Schwein auf der Bühne vor der Tongde-Akademie. Hinter dem Schwein stand mein Patenonkel Qian Ding. In der Mitte der Bühne saß ein ausländischer Teufel mit roten Haaren und grünen Augen, mit großer Nase und einem durchlöcherten Ohr. War das nicht dieser Knobel, der meine Stiefmutter und meine Stiefgeschwister umgebracht hat, an dessen Händen das Blut der Einwohner von Dongbei klebt? Am liebsten möchte ich mich auf ihn stürzen und ihn totbeißen, aber ich bin nur eine schwache, unbewaffnete Frau, diese Bühne zu betreten wäre mein sicherer Tod. Neben Knobel saß eine hochrangige Persönlichkeit mit Beamtenhut, mit großem, kantigem Gesicht und einem Schnurrbart auf der Oberlippe. Ich erriet, daß es sich um den berühmten Gouverneur von Shandong, Seine Exzellenz Yuan Shikai handeln mußte, der Mann, der die Sechs Heroen hat hinrichten lassen, der Mann, der die Kämpfer für Frieden und Gerechtigkeit aus Shandong vertrieb. Er war es auch, der meinen Schwiegervater, dieses Scheusal, gerufen hat, um diese grauenhafte Strafe an meinem Vater auszuführen. Er zwirbelte die Enden seines Bartes und sang dabei:
    »Meiniang, Blume unter den Fraun,
    Wirklich nicht übel anzuschaun,
    Kein Wunder, daß Qian Ding verzaubert ist,
    Auch mir wird heiß, wenn du in der Nähe bist.«
    Insgeheim freute mich das und ich wollte mich schon hinknien und für meinen Vater um Gnade bitten, da wechselte Seine Exzellenz Yuan mit einemmal die Gesichtsfarbe wie eine grüne Melone im Frost. Er machte eine Handbewegung und es erschienen mein Schwiegervater, in der Hand einen Stab aus Sandelholz, den man in Sesamöl eingelegt hatte, und mein Mann Xiaojia, einen Hammer aus Dattelholz, der mit Sojaöl behandelt war, auf der Schulter. Der eine groß, der andere klein, der eine kräftig, der andere mager, der eine dumm, der andere gewieft. So stellten sie sich neben dem schwarzen Schwein auf. Yuan Shikai warf einen Blick auf Qian Ding und sagte herablassend: »Nun, Exzellenz?«
    Qian Ding kniete vor Yuan Shikai und Knobel nieder und sagte unterwürfig: »Damit bei der morgigen Exekution keine Fehler passieren, habe ich, Euer ergebener Diener, die Herren Zhao Vater und Sohn beauftragt, die Strafe an diesem Schwein zu erproben. Ich bitte Exzellenz um Eure Anweisungen.«
    Seine Exzellenz Yuan sah Knobel an, und als dieser zustimmend nickte, gab auch Yuan das Zeichen seiner Zustimmung. Qian Ding erhob sich, trippelte zu dem Schwein, packte es an den Ohren und sagte zu Zhao Jia und meinem Mann: »Fangt an!«
    Mein Schwiegervater steckte dem Schwein das noch öltriefende Sandelholzschwert in den Hintern und sagte zu seinem Sohn: »Fang an, mein Sohn.«
    Xiaojia stellte sich breitbeinig hin, spuckte sich in die Hände und schwang den Holzhammer. Mit einem häßlichen Geräusch verschwand der Stab zur Hälfte im Hinterteil des Schweins. Das Schwein bäumte sich mit einem ohrenbetäubenden Quieken auf und machte einen Satz nach vorn. Dabei warf es Qian Ding um, der mit einem lauten Knall, der klang, als sei er auf eine Trommel statt auf den Boden gefallen, von der Bühne plumpste. Ich hörte seinen gellenden Schrei: »Mutter! Ich sterbe!«
    Auch wenn ich auf Qian

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