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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Anordnung dieser vier Hammelbrötchen, drei unten und eines oben, wie bei einem Kandelaber, hat etwas Besonderes. Diese gefüllten Dämpfbrötchen sind ihres guten Rufes würdig: Die Hammelbrötchen des Vierten Jia sind blütenweiß und duftig, mit einer Öffnung in der Mitte, die einer Pflaumenblüte gleicht. In dieser Öffnung steckt etwas Rotes, es sind feine, kleine Datteln. Verführerisch! Der Achte Zhu überläßt mir sein Messer, damit ich mir eins aufspieße. Er will wohl nicht, daß ich mir die Finger verbrenne. Oder vielleicht meint er, mit den Händen zu essen sei nicht angemessen. Ich weise das Messer zurück und nehme eines der Dämpfbötchen mit der Hand hoch. Es wärmt mir die Hand und sein köstlicher Duft dringt mir in die Nase. Mit dem ersten Bissen beiße ich die Dattel ab, ihre Süße erfüllt meinen Gaumen, drunten im Magen wird sie zum Köder für die gierigen kleinen Würmer. Mit dem zweiten Bissen kommt die Füllung aus Hammelfleisch und Mohrrüben zum Vorschein. Das Fleisch ist delikat, die Mohrrüben süß. Außerdem schmecke ich noch Zwiebeln und Ingwer. Wer die Hammelbrötchen des Vierten Jia nicht gekostet hat, der hat umsonst gelebt!
    Ich bin zwar keine Frau nobler Herkunft, kann mich aber dennoch ein Mädchen aus gutem Hause nennen, und sollte mich vor all diesen Bettlern nicht so gierig zeigen. In kleinen, feinen Happen sollte ich essen, aber mein Mund will mir nicht gehorchen. Im Nu hat er die Hälfte des Hammelbrötchens verschlungen, das größer ist als meine Faust. Ich weiß sehr wohl, daß es sich einer Frau nicht geziemt, in so großen Bissen zu essen, aber es ist mir, als recke sich eine gierige kleine Hand aus meinem Schlund, die sich jeden Bissen sofort unter den Nagel reißt. Sie läßt dem Hammelbrötchen keine Zeit, sein Aroma gebührend zu entfalten, schon ist es vollständig in meinem Magen verschwunden. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Man sagt den Bettlern nach, daß sie magische Kräfte haben, daß sie einen Hund schlagen können, der sich hinter einer Mauer befindet, daß sie mittels der Kraft ihrer Gedanken Dinge bewegen können. Dieses Hammelbrötchen, das ich mir gerade einverleibt habe, ist möglicherweise gar nicht in meinem Magen gelandet, sondern in dem des Achten Zhu. Warum sonst habe ich das Gefühl, gar nichts gegessen zu haben? Es ist, als sei mein Hunger noch größer geworden. Meine Hand gehorcht mir nicht mehr, sie macht, was sie will, und schnappt sich das nächste Hammelbrötchen, das mit drei, vier Bissen in meinem Magen verschwunden ist. Nach dem dritten Dämpfbrötchen bin ich satt  – und greife doch noch einmal zu. Das Hammelbrötchen scheint mir so groß wie ein Kopf, schwer und abstoßend. Ich muß daran denken, daß schon drei dieser riesigen Hammelbrötchen in meinem Bauch liegen und mir entfährt ein lauter und kräftiger Rülpser. Doch auch wenn mein Magen sich satt fühlt, mein Mund ist es noch nicht. Jetzt nehme ich mir beim Essen Zeit, meine Augen herumwandern zu lassen. Der Achte Zhu sieht mich an, und hinter ihm funkeln Dutzende von Augenpaaren wie Sterne. In diesen Augen muß ich mich in den vergangenen Minuten von einer Prinzessin in eine gierige Alte verwandelt haben. Von wegen »das Leben währt einen Atemzug«, das Leben währt einen Bissen lang, so müßte es heißen ...! Mit vollem Magen läßt sich gut das Gesicht bewahren, mit leerem Magen läßt man allen Anstand fahren.
    Als ich den letzten Happen heruntergeschluckt habe, fragt mich der Achte Zhu mit einem spöttischen Grinsen: »Na, bist du satt?«
    Ich nicke. Das Ganze ist mir ziemlich peinlich.
    »Gut. Da du nun gegessen hast, höre zu, was ich zu sagen habe.« Der Achte Zhu spielt mit dem Glühwurmsäckchen in seiner Hand. Mit großem Ernst in der Stimme und einem geradezu wilden Funkeln im Blick sagt er: »Für mich ist dein Vater ein Held. Du magst dich nicht daran erinnern, weil du damals noch klein warst, aber uns verbindet ein freundschaftliches Band. Er hat mir vierundzwanzig verschiedene Melodien der Katzenoper beigebracht und mir und meinen Freunden damit geholfen, uns etwas dazuzuverdienen. Auch die Idee zu unserer Bettlerparade am Vierzehnten des achten Monats stammt von deinem Vater. Von anderen Dingen ganz zu schweigen. Allein schon wegen der Vielzahl der Lieder, die er kennt, will ich deinen Vater retten. Mein Plan sieht wie folgt aus: Ich habe diesen Bastard Su Lantong, den Mann mit dem Schmiß über dem Auge, der für die Gefängnisaufsicht

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