Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
Ding wütend bin, er ist doch immerhin mein Liebhaber. Es tat mir in der Seele weh, ihn so zu sehen, und ungeachtet meiner Schwangerschaft sprang ich von der Bühne, um ihm aufzuhelfen. Er lag mit gelblichem Gesicht und geschlossen Augen da, als wäre er tot. Ich biß ihm in die Finger und zwickte ihm in die Oberlippe, bis ich endlich ein langgezogenes Stöhnen aus seinem Mund vernahm und sein Gesicht wieder eine natürliche Farbe annahm. Weinend ergriff er meine Hand, und ich hörte ihn sagen: »Meiniang, du bist mir das Liebste auf der ganzen Welt. Bin ich schon tot, oder lebe ich noch? Wache oder träume ich? Bin ich ein Mensch oder ein Geist?«
Ich erwiderte: »Qian Ding, Herzallerliebster, du bist tot und dennoch am Leben, du bist wach und existierst doch nur im Traum, bist Mensch und Geist zugleich.«
In diesem Augenblick ging auf der Bühne ein großer Tumult los. Gongs und Trommeln wie ein Wirbelsturm, die Katzenvioline macht ›ligelong‹. Das schwarze Schwein, den Sandelholzstab im Hinterteil, rennt im Kreis, Zhao Jia und Xiaojia laufen hinterher. Es beißt Yuan Shikai ins Bein und das Blut fließt über die Bühne. Es beißt auch Knobel in die Hinterbacke und schon liegt er schreiend auf dem Boden. Wirklich ein erhebendes Schauspiel – nur nicht für die zwei Gebissenen. Doch dann gibt es einen Knall – Yuan und Knobel sind wieder wohlauf und sitzen ehrfurchtsgebietend auf ihren Stühlen. In der Mitte der Bühne ist kein Schwein mehr, sondern mein Vater Sun Bing, der jetzt die schreckliche Folter erleidet. Bang, bang, bang! Dumpfe Hammerschläge ertönen, und seine Schreie gellen mir in den Ohren ...
Mein Herz klopft wie wild, ich bin schweißgebadet. Der Achte Zhu fragt mich lächelnd: »Hast du gut geschlafen?«
Ich antworte schuldbewußt: »Werter Achter Herr, wie peinlich, ich bin eingeschlafen, und das in dieser schweren Stunde ...«
»So muß es sein. In dieser Welt haben nur diejenigen, die zu großen Taten in der Lage sind, einen guten Appetit und einen gesunden Schlaf.« Der Achte Zhu legt mir erneut vier große Hammelbrötchen vor die Nase und sagt: »Iß nur schön langsam, und unterdessen erzähle ich dir, was sich heute zugetragen hat. Heute morgen hat dein Schwiegervater seine Werkzeuge bereitgelegt. Der Präfekt hat Leute beauftragt, auf dem Platz vor der Tongde-Akademie eine hohe Plattform zu errichten. Auf der Bühne, neben der Plattform hat man eine Hütte aufgestellt und vor der Hütte brennt ein Herdfeuer, auf dem ein Topf mit Sesamöl kocht. Dein Schwiegervater, Zhao Jia, und dein Mann, Xiaojia, sind dort zugange. Im großen Topf kochen die Stäbe, ihren Geruch riecht man zehn Meilen weit. Im großen Topf kochen mit den Stäben frittierte Nudeln, in einem kleinen Topf kocht Rinderbrühe. Vater und Sohn haben vom Essen ölverschmierte Münder. Alles wartet auf den morgigen Tag. Um Schlag zwölf beginnt die Prozedur. Vor den Toren des Yamen stehen nach wie vor grimmige Wachposten. Von deinem Liebhaber Qian Ding, von Yuan Shikai und Knobel keine Spur. Ich habe eines meiner Kinder hingeschickt. Der junge Mann hatte sich als fahrender Händler verkleidet und sollte sich im Yamen gründlich umsehen. Doch die Deutschen haben ihn auf ihren Bajonetten aufgespießt. Durch das Haupttor kommt man also nicht mehr hinein ...«
Während der Achte Zhu spricht, vernehmen wir plötzlich einen Schrei. Er kommt von draußen. Alle springen erschrocken auf, als sie den Affen des Siebten Kleine Hou hereinspringen sehen. Gleich hinter ihm folgt der Siebte Kleine Hou selbst. Sein Gesicht strahlt wie der volle Mond. Er eilt auf Zhu zu und sagt atemlos: »Achter Herr, gute Nachrichten! Ich habe den halben Tag im Abwasserkanal hinter dem Yamen gehockt, bis ich vom Vierten Herrn folgende Neuigkeiten erfahren habe: Er sagt, daß wir in der zweiten Hälfte der Nacht, wenn die Wachsoldaten todmüde sind, über die Mauer hinter dem Yamen klettern und unerkannt und unbemerkt die Gefangenen austauschen könnten. Ich habe eine Stelle gefunden, an der eine krumme alte Ulme steht, über die wir hineinklettern können.«
»Hou, du bist du ein abgefeimter alter Bursche!« freut sich der Achte Zhu und fügt aufgeregt hinzu: »Jetzt könnt ihr alle erst einmal ruhig schlafen gehen. Wer nicht schlafen kann, legt sich hin und sammelt seine Kräfte. Meine Kinder, unsere Stunde ist gekommen. Wenn wir das hinbekommen, haben wir diesem Knobel eins ausgewischt und die ganze Bande an der Nase herumgeführt.« Zu dem
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