Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
Kaiser befiehlt – die Ausführung der Folterstrafe an dem des Hochverrats und der Ketzerei überführten Eunuchen Kleiner Wurm –«
Der an den Pfahl gefesselte Kleine Wurm schluchzte laut auf und schrie verzweifelt dazwischen: »Kaiserliche Hoheit, kaiserliche Hoheit, Gnade, erbarmt Euch des armseligen Lebens eines nichtsnutzigen Sklaven – nie wieder wird es Euer Diener wagen –«
Die kaiserliche Leibgarde rasselte einschüchternd mit ihren Säbeln. Da wurde der Kleine Wurm kreidebleich. Selbst aus seinen Lippen wich das Blut und er machte sich in die Hosen. Wir hörten, wie er uns mit leiser Stimme anflehte: »Meine Herren, machen Sie sich bitte zügig ans Werk – ich werde in der Hölle Ihrer großen Gnade gedenken.«
Als ob wir in diesem Moment noch einen Gedanken an sein Gerede verschwendet hätten! Als ob wir dazu die Nerven gehabt hätten! Sicher wäre er glücklich und dankbar gewesen, wenn wir ihn rasch mit dem Strang erdrosselt hätten, aber das konnten wir uns nicht leisten. Selbst wenn Seine Majestät uns Gnade gewährt hätte – Seine Exzellenz Wang hätte sicher kein Erbarmen mit uns gehabt. Nachdem der »Riegel« von den Händen des Kaisers und seiner Frauen berührt worden war, schien er plötzlich viel schwerer zu wiegen. Noch einmal präsentierten wir ihn, Theaterschauspielern gleich, in einer sorgfältig einstudierten Zeremonie dem Kaiser, der Kaiserin und den Konkubinen, anschließend den Ministern, Fürsten und hohen Würdenträgern und zu guter Letzt der großen Menge der knienden Eunuchen und Hofdamen. Großvater Chen, Erster Eunuch des Strafministeriums und Seine Exzellenz Wang der Justizminister tauschten einen Blick und riefen dann laut im Chor: »Die Strafe werde vollstreckt!«
Der Himmel meinte es gut mit uns. Der funkelnde Eisenreifen schien wie geschaffen zu sein für den Kopf des Kleinen Wurms. Er saß genau richtig, nicht zu locker und nicht zu fest. Die schönen Augen des Eunuchen sahen genau durch die beiden Öffnungen. Als wir den Eisenreifen angepaßt hatten, gingen ich, dein Vater, und Großmutter Yu zwei Schritte zurück und zogen dabei die Lederriemen in unseren Händen straff. Da hörten wir den Kleinen Wurm nur noch leise vor sich hinwimmern: »Meine Herren, machen Sie kurzen Prozeß – bitte!«
Wer hätte in einem solchen Moment noch auf ihn gehört. Ich, dein Vater sah zu Großmutter Yu, und Großmutter Yu sah zu mir. In stillem Einverständnis nickten wir einander zu. Ein feines Lächeln umspielte den Mund von Großmutter Yu. Ja, er war ein ausgesprochen kultivierter Scharfrichter. Sein Lächeln war für uns das Startsignal. Ich spannte meine Muskeln an, jedoch nur mit halber Kraft – und ließ sogleich wieder locker. Für Außenstehende war dieser Wechsel zwischen Anspannen und Lockerlassen kaum wahrnehmbar. Kleiner Wurm stieß einen entsetzten Schrei aus, schrill und fürchterlich, schlimmer als das Geheul eines Wolfs. Es war genau das, was der Kaiser und die Damen hören wollten; es war nicht die Tötung eines Menschen – es war ein Konzert, und wir waren die Konzertmeister, die mit kleinsten Bewegungen den Ton und den Takt vorgaben.
Es war Herbstanfang, der Himmel war leuchtend blau und die Sonne strahlte hell; die glasierten Kacheln der roten Wände ringsum schienen eine einzige, glänzende Fläche zu sein, wie ein großer Spiegel für Himmel und Erde. Nach einer Weile stach mir, deinem Vater, ein widerlicher Geruch in die Nase. Der Kleine Wurm, dieser elende Wicht, hatte sich in die Hosen gemacht. Ich warf einen verstohlenen Blick auf die Tribüne und sah, daß Kaiser Xianfengs Augen glänzten. Sein Gesicht leuchtete wie pures Gold. Von den Damen waren einige leichenblaß, andere starrten mit offenen Mündern. Die Prinzen, Minister und Würdenträger standen aufrecht da und hielten den Atem an. Die Eunuchen und Hofdamen auf dem Boden verbeugten sich in einem fort, nur die etwas schwächeren Hofdamen waren bereits ohnmächtig geworden. Großmutter Yu und ich tauschten noch einmal einen einvernehmlichen Blick. Es schien alles nach Plan zu laufen. Kleiner Wurm war an der Grenze dessen angelangt, was er ertragen konnte, und wir mußten verhindern, daß der ekelhafte Gestank, der von ihm ausging, zum Kaiser vordrang. Schon hielten sich einige der Damen seidene Taschentücher vor den Mund. Die vom Schnupftabak ruinierte Nase des Kaisers war glücklicherweise weniger sensibel als die feinen Nasen seiner Gespielinnen. Wir mußten uns
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