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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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beeilen, unser Werk zu Ende zu bringen. Denn wenn die widerwärtigen Ausdünstungen zum Kaiser vordrangen, würde er zornig werden und dann sah es nicht gut aus für uns. Irgend etwas mit den Ausscheidungen dieses Kerlchens war nicht normal, der abartige Mief drang uns bis ins Gehirn, das war nicht mehr der Gestank eines Menschen. Mir, deinem Vater, wurde so schlecht, daß ich mich am liebsten übergeben hätte. Aber ich mußte mich beherrschen. Denn wenn ich oder Großmutter Yu damit anfingen, hätten wir andere angesteckt, und das ganze Schauspiel hätte seinen Reiz verloren. Jetzt ging es nur noch darum, das Vergnügen Seiner Majestät nicht zu beeinträchtigen. Großmutter Yu dachte längst das gleiche wie ich: Wir mußten dem Spektakel schnellstens ein Ende setzen. Also nahmen wir beide, Meister und Schüler, unsere Kräfte zusammen, um den Eisenring Zug für Zug weiter in den Schädel des Delinquenten zu drücken, bis der Kopf des Kleinen Wurms aussah wie ein Flaschenkürbis. Sein Schweiß war längst bis auf den letzten Tropfen aufgebraucht. Was jetzt aus seinem Körper austrat, war eine klebrige, ölige Brühe, übel und stinkend, schlimmer als der Gestank aus seinen Hosen. Doch mit der Kraft der Verzweiflung preßte er sich noch einmal einen Schrei ab, der selbst mich, deinen Vater, der das Töten gewohnt war, erschütterte. Selbst ein mit allen Wassern gewaschener Kraftprotz hätte keine Chance gehabt gegen den »Riegel des Höllenkönigs«, nicht einmal Sun Wukong, der neunundvierzig Tage und Nächte lang im alchemistischen Ofen der daoistischen Meister bearbeitet wurde, ohne sich je unterkriegen zu lassen.
    Das Geniale des »Riegels des Höllenkönigs« betraf die Augen des Gefolterten. Während ich, dein Vater, immer weiter zurückging, spürte ich, wie sich das Zittern des Kleinen Wurms über den gespannten Lederriemen auf meinen Arm übertrug. Welch ein Jammer um diese Augen, Augen, die so vielen jungen Mädchen und verheirateten Frauen hätten gefährlich werden können. Nun quollen sie nach und nach aus den beiden Öffnungen des »Riegels« heraus. Schwarz und weiß, von feinen, blutroten Streifen durchzogen. Je weiter heraus, desto größer, wie das Ei, das langsam aus der Henne herauskommt, weiter und weiter  – plopp! Und noch mal plopp! Da baumelten die beiden Augäpfel des Kleinen Wurms aus dem Eisenreif. Es war genau das, was sich Großmutter Yu und ich uns erhofft hatten. Es kam der kritische Moment, der letzte Ruck  – ein lautes Krachen und Knacken. Das war der Augenblick, in dem Großmutter Yu und ich einen Seufzer der Erleichterung ausstießen. Wir wußten nicht, wie spät es war, und wir waren schweißgebadet. Der Schweiß lief uns über das Gesicht und wusch uns das getrocknete Hühnerblut herunter, so daß wir am Ende dem Delinquenten ähnlich sahen, dessen Blut unablässig an ihm herabströmte. Ein Blick auf das Gesicht der Großmutter genügte mir, um zu wissen, wie ich selbst aussah.
    Der Kleine Wurm war bereits bewußtlos und es trennte ihn nicht mehr viel vom Tod. Seine Schädeldecke war zertrümmert und mit Blut vermischte Hirnmasse quoll aus den zersplitterten Knochen heraus. Ich hörte das Würgen der sich auf der Tribüne übergebenden Damen. Einer der älteren Würdenträger lag mit dem Gesicht auf dem Boden, sein roter Hut war ihm davongerollt. Das war der Zeitpunkt, an dem Großmutter Yu und ich verkündeten: »Die Strafe ist ausgeführt! Möge sich Seine Exzellenz davon überzeugen!«
    Der Justizminister verbarg sein Gesicht hinter dem Ärmel seiner Robe, und begnügte sich mit einem kurzen Blick in unsere Richtung. Dann drehte er sich zur Tribüne, nahm Haltung an, schwang die Hufeisenärmel zurück, ließ sich auf die Knie fallen und konstatierte: »Die Strafe ist ausgeführt! Möge sich Seine Majestät davon überzeugen!«
    Der Kaiser bekam einen nicht enden wollenden Hustenanfall. Endlich wandte er sich an die Menge der Umstehenden: »Habt ihr es gesehen? Es soll euch ein warnendes Beispiel sein!«
    Die Stimme des Kaisers war zwar nicht besonders kräftig, aber man hatte seine Worte überall sehr deutlich vernommen. Obwohl sie eigentlich den Eunuchen und Hofdamen galten, wirkten auf einmal die Exzellenzen der Sechs Ministerien, die Prinzen, Fürsten und Würdenträger als hätte man ihnen die Beine gebrochen. Alle fielen auf die Knie und machten einen Kotau nach dem anderen. Einige riefen: »Lang lebe der Kaiser! Er lebe hoch!«, andere: »Euer ergebener Diener

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