Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
Sänften! Bei euch kann man wirklich sagen: ›Ein Hundekopf läßt sich nicht gut auf einem silbernen Tablett servieren‹.«
Die vier Sänftenträger waren Eunuchen mit bartlos glänzendem Kinn. Mit verächtlichem Blick, die Hände in den Taschen, musterten sie uns. Ihre Geringschätzung forderte mich heraus. Elende Eunuchen, ihr könnt mich mal! Heute beschert mir die Hinrichtung des Kleinen Wurms Ruhm. Ich werde euch zeigen, wer ich bin und mich von euch Hundesöhnen herumtragen lassen. Ich teilte die Vorhänge und ließ mich in meine Sänfte fallen. Auch die Großmutter war eingestiegen, und nun ging es mit heftigem Geschüttel voran.
Ich hörte, wie die Träger einander zuflüsterten: »Diese Henker haben sich mit Menschenblut vollgesoffen. Deshalb sind sie so schweigsam.«
Normalerweise waren diese Leute für den Transport der kaiserlichen Gemahlinnen oder der kaiserlichen Konkubinen zuständig, nicht im Traum hätten sie sich vorgestellt, einmal zwei Scharfrichter tragen zu müssen. Ich wand mich absichtlich in der Sänfte hin und her, damit diese Mistkerle mehr zu tun hatten. Wir waren noch nicht aus dem Gebäudekomplex des Justizministeriums heraus, da hörten wir Kleine Tante hinter uns herrufen: »Großmutter, Großmutter, Ihr habt den ›Riegel des Höllenkönigs‹ vergessen!«
Ein ganzer Bienenschwarm schien plötzlich im Kopf deines Vaters zu summen, ich sah Sterne vor den Augen. Schnell sprang ich aus der Sänfte, um aus den Händen der Kleinen Tante das in rote Seide gewickelte Folterinstrument in Empfang zu nehmen. Ihr könnt euch vorstellen, was in diesem Moment in mir vorging. Auch die Großmutter war ausgestiegen, ihr Gesicht glänzte, die Beine schlotterten. Kaum auszudenken, in welche Katastrophe wir ohne die Aufmerksamkeit der Kleinen Tante geschlittert wären. »Verdammt«, sagte Seine Exzellenz Cao, »das ist ja, als ob ein Beamter sein Siegel vergessen hätte oder ein Schneider seine Schere!«
Eben erst hatte ich, dein Vater, Geschmack daran gefunden, mich in einer Sänfte herumtragen zu lassen, aber diese Episode hatte mir den Genuß gründlich verdorben. Still und brav wie ein Affe hockte ich in meiner Sänfte und riskierte es nicht einmal mehr, mir einen Spaß mit den Eunuchen zu erlauben.
Am Ende wurde die Sänfte mit einem Ruck abgesetzt. Ich stieg wie benommen aus und war geblendet von Pracht und Herrlichkeit. In gebeugter Haltung folgte ich, den »Riegel des Höllenkönigs« in der Hand, der Großmutter und dem Eunuchen, der uns in den Palast führte.
Nachdem wir eine Weile verschlungenen Wegen gefolgt waren, gelangten wir schließlich in einen großen Hof. Dort kniete eine Reihe bartloser Männer in kamelhaarfarbener Kleidung, runde, schwarze Kappen auf dem Kopf. Den Dieb des Gewehrs hatte man schon an einen Pfahl gefesselt. Kleiner Wurm war ein Kerlchen mit feinen Gesichtszügen, er wirkte sanft und still, beinahe wie ein Mädchen. Besonders seine Augen waren von auffälliger Schönheit: er hatte doppelte Lider, lange Wimpern und Augäpfel, die an dunkle Weintrauben erinnerten. Wie schade, seufzte ich, dein Vater, bei mir, wie schade um so einen guten Jungen! Und diesem hübschen Kind waren seine edelsten Teile abgeschnitten worden, damit er dem Kaiser als Eunuch dienen konnte. Wie hatten seine Eltern so etwas nur zulassen können?
Vor dem Pfahl, an den der Kleine Wurm gebunden war, hatte man eine provisorische Tribüne errichtet. Darauf standen mehrere prächtige Sessel aus Sandelholz. Der Sessel in der Mitte war größer als die anderen. Ein gelbes Kissen, das mit einem goldenen Drachen bestickt war, lag darauf. Dabei konnte es sich nur um den Drachenthron Seiner Majestät des Kaisers handeln. Ich bemerkte außerdem unseren Justizminister, Seine Exzellenz Wang, den Vizeminister, Seine Exzellenz Tie, und eine größere Anzahl weiterer Personen, die mit Edelsteinen oder Korallen verzierte Kopfbedeckungen trugen. Ich nahm an, daß sie hohe Beamte diverser Ministerien waren. Sie standen, respektvoll die Hände an der Seite, aufrecht vor der Tribüne und keiner wagte, auch nur den geringsten Laut von sich zu geben. Es herrschte eine ungewöhnliche Atmosphäre im ganzen Palast. Diese Stille! Die Stille war so groß, daß ich mein eigenes Herz schlagen hörte. Nur die Spatzen auf den Dachvorsprüngen aus glasierten Ziegeln wußten nichts von der Schwere der Stunde und zwitscherten lauthals. Auf einmal erklang die klare, geschliffene Stimme eines rüstigen alten Eunuchen, der
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