Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
den Befehl des dicken, dunkelgesichtigen Aufsehers: »Die Stunde ist gekommen!«
Gleich darauf begann die klagende Melodie der Suonas, und die Soldaten spitzten die Lippen, als sängen sie leise mit. Der eine Henker zog den Kopf des Delinquenten an seinem kurzen Zopf vornüber, bis sein Nacken lang war. Der andere hob das Schwert in die Höhe, schwang es mit einer Drehbewegung nach rechts, um dann elegant nach links zurückzuschwingen und – tschopp! Ein heller Blitz leuchtete auf, begleitet von einem abrupt unterbrochenen Todesschrei. Schon hatte der andere Henker den Kopf des Unglücklichen in der Hand und hielt ihn hoch. Beide Scharfrichter stellten sich auf und riefen unisono: »Seine Exzellenz überzeuge sich davon, daß die Strafe ordnungsgemäß ausgeführt wurde!«
Der Dicke mit dem dunklen Gesicht, der aufrecht auf seinem Pferd saß, machte nur eine Geste in Richtung des in der Luft baumelnden Kopfs, als würde er einem Freund Lebewohl sagen. Dann zog er an den Zügeln, machte kehrt und trabte davon. In diesem Moment jubelte die Menge der Zuschauer los. Die Bettler stürmten dreist nach vorn und drängten sich um die Bühne, wo sie darauf lauerten, daß dem Hingerichteten die Kleider vom Leib gerissen wurden. Aus dem Hals des Verbrechers pulsierte in großen Wellen das Blut. Noch kniete er aufrecht, aber dann kippte er nach vorn, wie ein Weinkrug, der umfällt.
Ich, dein Vater, hatte schließlich begriffen, daß weder der Exekutionsaufseher noch einer der Henker mein Onkel war und auch keiner der berittenen Soldaten. Mein Onkel war niemand anderer als der, den man soeben enthauptet hatte.
Am Abend des gleichen Tages suchte ich mir einen Weidenbaum mit herabhängenden Ästen, löste das Taillenband meiner Hose, verknotete die Hosenbeine in einer Astgabel und steckte den Kopf hinein. Mein Vater war tot, meine Mutter war tot und dem einzigen Verwandten, den es sonst noch gab, hatte man gerade den Kopf abgeschlagen. Ich, dein Vater, war mutterseelenallein auf dieser Welt, es gab keinen Ausweg mehr für mich. Da konnte ich genausogut meinem Leben ein Ende setzen. Als ich gerade im Begriff war, die Nase des Höllenkönigs zu berühren, spürte ich eine große Hand am Hintern.
Es war der Mann, der meinem Onkel den Kopf abgehackt hatte.
Er brachte mich in ein Gasthaus mit Spezialitäten aus dem Steinguttopf, bestellte einen Fischkopf mit Tofu und lud mich zum Essen ein. Er selbst rührte nichts an, er saß mir nur gegenüber und schaute zu. Auch den Tee, den ihm der Kellner anbot, lehnte er ab. Als ich satt war, stieß ich einen Rülpser aus und sah ihn fragend an. Er sagte: »Ich bin ein guter Freund deines Onkels gewesen. Wenn du willst, nehme ich dich als Lehrling an.«
Ich dachte daran, wie herrlich und heldenhaft er ausgesehen hatte. Wie er erst aufrecht und unbeweglich dagestanden und dann mit einer so formvollendeten Bewegung seine Arbeit ausgeführt hatte. Und ich dachte an den Kopf meines Onkels, der noch geschrien hatte, als man ihm vom Leib trennte ... Die Stimme meiner Mutter war wieder da, diesmal aber war sie ganz sanft und liebevoll früher: »Schnell, mein guter Sohn«, flüsterte sie, »mache einen Kotau vor deinem Meister.«
Mit Tränen in den Augen kniete ich mich hin und machte einen Kotau vor dem Meister. Mit meinem Onkel hatte ich kein Mitleid, das einzige, was mich jetzt interessierte, war ich selbst. Meine Tränen waren Tränen der Dankbarkeit. Auch ich wollte ein Mann werden, der einem anderen ohne mit der Wimper zu zucken den Kopf abschlagen konnte. Das eiskalte Auftreten haftete angenehm kühl wie ein Eiswürfel in meinem Gedächtnis.
Der Meister deines Vaters, Sohn, war kein anderer als die Großmutter, von der ich dir eben schon berichtet habe. Später erzählte er mir, daß mein Onkel Gefängniswärter gewesen war und er mit ihm Blutsbrüderschaft geschlossen hatte. Als er zum Verbrecher geworden war, durfte er durch seine Hand sterben, mit einem Schnitt schneller als der Wind, und die Sache war vorbei. Im letzten Moment hatte der Kopf meines Onkels noch zu ihm gesprochen: »Bruder«, hatte er gesagt, »das ist mein Neffe, nimm dich seiner an!«
Kapitel 3:
Xiaojias wirre Rede
»Ich heiße Zhao, genannt Xiaojia, heute stand ich auf und lachte, haha.
(So ein Dummkopf!) In der Nacht habe ich von einem weißen Tiger geträumt.
Eine rote Weste trug der weiße Tiger und einen langen Schwanz.
(Hahaha!) Ein langer Schwanz, ein langer Schwanz, ein langer Schwanz.
Da saß der
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