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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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und dachte daran, mir an den Imbißbuden eine Kleinigkeit zu essen zu erbetteln, doch hatte ich Angst, dem Einäugigen zu begegnen. Das Glück wollte, daß ich in einem Aschehaufen am Straßenrand einen Kohlstrunk fand, den ich abnagte. Währenddessen beobachtete ich eine Gruppe großer Pferde, auf denen Soldaten mit Strohhüten und grauen Uniformen mit roten Seitenbändern saßen. Sie galoppierten aus dem Hof des Justizministeriums auf die gerade mit gelbem Löß aufgefüllte Straße hinaus. Die Soldaten trugen Säbel an den Hüften und Peitschen in den Händen, mit denen sie auf alles, was ihnen in den Weg kam, eindroschen.
    Einen Augenblick später kam ein hölzerner Gefangenenkarren aus dem Hof. Das Maultier, das ihn zog, war spindeldürr, hatte eine Wirbelsäule wie eine Messerklinge und Beine wie Holzstöckchen. Aufrecht auf dem Karren stand ein Mann mit zerzaustem Haar, dessen Gesichtszüge nicht deutlich zu erkennen waren. Der Karren ruckelte über die Straße, und seine schlecht geölten Achsen quietschten vernehmlich. Er wurde begleitet von den Soldaten und einer Blaskapelle. Ihre traurigen Klänge erinnerten an das Muhen von Kühen. Hinter dem Karren ritt eine Reihe Hofbeamter in heller Amtstracht. Einer war von großem Leibesumfang und trug einen dieser langen, gezwirbelten Schnurrbärte, die wie angeklebt wirken. Auf die Beamten folgten noch etwa ein Dutzend Kavalleristen. Rechts und links des Gefangenen schritten zwei Männer in Schwarz, mit roten Kappen und breiten Schwertern in der Hand. Beide hatten purpurrote Gesichter  – damals wußte ich noch nicht, daß es die Farbe des Hühnerbluts war. Sie gingen langsam und würdevoll neben dem Gefangenen her, ohne das geringste Geräusch zu machen. Ganz fasziniert von ihrem Auftreten, starrte ich sie mit großen Augen an. Ich fragte mich, wie es möglich wäre, so zu werden wie sie. Auch ich wollte mich so katzengleich fortbewegen können. Plötzlich hörte ich wieder die Stimme deiner Großmutter, die zu mir sagte: »Mein Kind  – das ist doch dein Onkel!«
    Ich wandte mich rasch um und erblickte nichts als die graue Wand, keine Spur von meiner Mutter. Doch ich wußte, daß ihr Geist noch immer bei mir war. Also schrie ich laut: »Onkel!« Und dann war es, als habe mir jemand von hinten einen Stoß versetzt, so daß ich mit ausgebreiteten Armen auf den Karren mit dem Gefangenen stolperte.
    Das war nun allerdings ein reichlich tölpelhafter Akt. Die Hofbeamten vor und hinter dem Karren drehten sich verblüfft um. Ein erschrockenes Pferd bäumte sich wiehernd auf und warf seinen Reiter ab. Weinend warf ich mich vor die beiden Männer in Schwarz auf die Erde: »Onkel, endlich habe ich dich gefunden ...« All das Leid, das ich in den vergangenen Jahren mit mir herumgetragen hatte, strömte plötzlich aus mir heraus. Den beiden Männern mit dem ungewöhnlichen Auftreten und den Schwertern in den Händen schien es die Sprache verschlagen zu haben. Ich sah, wie sie sich einen Blick zuwarfen, als wollte sie einander fragen: »Bist du etwa der Onkel dieses kleinen Bettlers?«
    Doch bevor sie reagieren konnten, hatten die Uniformierten ihre Fassung wiedererlangt, stießen ein einschüchterndes Gebrüll aus und umzingelten mich mit gezogenen Waffen, die kalt über meinem Kopf glänzten. Eine mächtige Pranke packte mich am Nacken, als wollte sie mir den Hals brechen, und hob mich hoch. Ich schrie und zappelte in der Luft: »Onkel  – Onkel!« Dann wurde ich auf den Boden geworfen, wo ich wie ein toter Frosch liegenblieb, den Mund in einem Haufen Pferdedung, der noch ganz warm war.
    Hinter dem Gefängniskarren saß auf einem kastanienbraunen Roß ein dicker Herr mit dunklem Gesicht. Er trug einen mit blauschimmernden Kristallen geschmückten Pfauenfedernhut, und auf der Brust sah ich das Bild eines weißen Panthers. Offensichtlich war er ein hoher Funktionär. Ein Soldat kniete vor ihm nieder und sagte: »Exzellenz, es ist nur ein kleiner Bettler.«
    Zwei Soldaten zogen mich an den Haaren hoch, und der Mann begutachtete mich. »So ein dreckiger kleiner Bastard!« schimpfte er. »Schafft ihn aus dem Weg!«
    »Jawohl!« antwortete der Soldat, packte mich am Kragen, schleifte mich über die Straße und stieß mich weg: »Verdammter Rotzlöffel!«
    Ich landete wieder einmal im Abwassergraben.
    Mühselig kroch ich heraus. Vor lauter Dreck konnte ich nichts mehr sehen und tastete nach ein paar Grasbüscheln, um mich notdürftig zu säubern. In der Zwischenzeit war

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