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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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hinter mir. Ich drehte mich um und sah, daß der schwarze Panther sich halb von seinem Sandelholzsessel erhoben hatte. Seine beiden Vorderläufe stützte er auf die Armlehnen, die Hinterläufe standen auf dem schwarzen Ziegelsteinboden. Er taxierte mich mit seinen Adleraugen. Ach, du meine Güte, er hat sich schon in Positur gebracht, gleich setzt er zum Sprung an. Xiaojia, Xiaojia, jetzt bloß nichts überstürzen. »Reiß dich zusammen«, flüsterte ich mir selber ein. Dann bezwang ich meine Angst und sagte mit einem unsicheren Lächeln: »Vater, ich gehe nach hinten, um das tote Schwein zu zerlegen. Schweinefleisch muß man möglichst frisch verkaufen. Das ist ein besonders schweres, da muß man sich Mühe ...«
    Der Panther sagte kühl: »Mein Sohn, beeile dich, den Beruf zu wechseln. Ein Schlächter kannst du ruhig bleiben, aber mit dem Schweineschlachten bringst du es nicht weit, erst wenn man Menschen schlachtet, kann man etwas Besseres werden.«
    Ich ging noch ein paar Schritte weiter rückwärts: »Vater, Ihr habt natürlich recht, von heute an höre ich auf mit dem Schweineschlachten und lasse mir von Euch beibringen, wie man Menschen tötet ...«
    Da hob ohne Vorwarnung die weiße Schlange ihren Kopf. An ihrem Hals schimmerten kupfermünzengroße Schuppen  – ein Anblick, der einem das Mark in den Knochen gefrieren ließ. »Gack, gack, gack ...«  – ihre Stimme klang wie die eines Huhns. »Xiaojia, hast du es erkannt?« hörte ich sie fragen. »Welches Tier ist in deinem Vater wiedergeboren worden? Ein Wolf? Ein Tiger? Oder eine giftige Schlange?«
    Ich beobachtete, wie sich ihr schuppenbesetzter Hals in Windeseile nach oben reckte; dabei streifte ihr Körper das rote Jäckchen und die grüne Hose ab wie buntschillernde Schlangenhaut. Mit ihrer dunkelroten Zunge berührte sie beinahe meine Augen. Mama! Von wildem Entsetzen gepackt, sprang ich von ihr weg  – es lärmte in meinen Ohren, ich sah Sterne, Schaum kam aus meinem Mund, und ich wurde ohnmächtig ... Später erzählte mir meine Frau, ich habe einen epileptischen Anfall gehabt und wirres Zeug geredet. Aber ich leide ganz sicher nicht an Epilepsie, warum sollte ich einen epileptischen Anfall gehabt haben? Ich weiß nur, daß ich erschrocken vor ihr zurückwich und dabei über meine eigenen Beine gestolpert und auf den Türrahmen aufgeschlagen bin, aus dem ein langer Nagel ragte. Er bohrte sich in meinen Kopf und ließ mich vor Schmerz in Ohnmacht sinken.
    Wie aus weiter Ferne drang die Stimme einer Frau zu mir: »Xiaojia, Xiaojia ...« Ich konnte nicht erkennen, ob es sich um die Stimme meiner Mutter oder meiner Frau handelte. Ich fühlte nur einen rasenden Schmerz in meinem Kopf und wollte die Augen öffnen, aber meine Lider schienen wie zugeklebt zu sein. Ich nahm einen angenehmen Duft wahr. Erst war es ein Geruch nach Gras, dann nach gekochtem Schweinedarm. Und dazu diese Stimme in meinem Ohr: »Xiaojia, oje, Xiaojia ...« Plötzlich spürte ich etwas Frisches, Kaltes im Gesicht und kam wieder zu mir.
    Ich schlug die Augen auf und sah zunächst nur tausend Farben vor meinen Augen schillern wie einen Regenbogen. Dann wurde ich von den Strahlen der Sonne geblendet und im nächsten Moment sah ich ein Gesicht vor mir, rund und weiß wie ein Reiskuchen. Es war das Gesicht meiner Frau. Ich hörte sie sagen: »Xiaojia, du hast mich zu Tode erschreckt!« Ich fühlte ihre schweißnasse Hand. Mit aller Kraft zog sie mich nach oben, bis sie mich schließlich halbwegs aufgerichtet hatte. Ich wendete den Kopf hin und her: »Wo bin ich hier?«
    Sie erwiderte: »Wo sollst du schon sein, du Trottel? Zu Hause natürlich.«
    Zu Hause  – ich zog die Augenbrauen zusammen und urplötzlich fiel mir alles wieder ein. »Gott im Himmel«, sagte ich, »ich will diesen Tigerbart nicht mehr haben, ich will ihn nicht. Ich werde ihn ins Feuer werfen und verbrennen.«
    Sie lachte spöttisch und flüsterte mir, ihr Mund dicht an meinem Ohr, zu: »Schwachkopf, meinst du denn, das ist ein echter Tigerbart? Das war nichts weiter als ein Haar von mir!«
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf, der mir fürchterlich weh tat. »Das ist nicht wahr, das kann nicht sein, wie könntest du so ein Haar an dir haben? Und selbst wenn es ein Haar von dir wäre, so habe ich doch deine wahre Gestalt erkannt! Und selbst als ich es nicht mehr in der Hand hielt, sah ich auch meinen Vater in seiner wahren Gestalt.«
    »Jetzt raus mit der Sprache, was hast du gesehen? Wer bin ich?« fragte

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