Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
Bulle. Ihre Blicke kreuzten sich und die Funken stoben und sprangen mir ins Gesicht. Keiner wich dem Blick des anderen aus und auch keinen Millimeter vor dem anderen zurück. Mein Herz hüpfte mir in die Kehle. Wenn ich den Mund öffnete, würde es herausspringen, auf den Boden fallen und zu einem Wildkaninchen werden, mit aufgestelltem Schwanz davonrennen, in den Hof, auf die Straße, von Hunden verfolgt, immer schneller, bis zu den hügeligen Feldern im Süden, voll junger Gräser. Soviel Gras, zart und fein, ich freß' mich voll, ich freß' wie toll, ist die Wampe dick, kehr ich zurück, mehr paßt nicht hinein. Ich konnte sehen, wie sie die Muskeln anspannten und die Krallen ausfuhren. Jeden Moment könnten sie aufeinander losstürzen. In diesem kritischen Augenblick trat meine Frau, betörend duftend aus dem Hinterzimmer. Das Lächeln auf ihrem Gesicht glich einer sich öffnenden Rose, die Blatt um Blatt ihre zarte Blüte entfaltet. Ihre schmale Taille wand sich wie ein Seil. Als ich diesen weißen und zarten, duftenden Körper sah, löste sich das Bild der Schlange auf. Meine Frau kniete theatralisch nieder und sagte mit einer Stimme, süßer als Honig und saurer als Essig: »Sun Meiniang, ein einfaches Mädchen aus dem Volke, ersucht Seine Exzellenz den Kreispräfekten demütigst um eine Audienz.«
Der Kniefall meiner Frau wischte mit einem Streich den Groll aus dem Gesicht des Präfekten. Sein Blick schweifte ab, und er hüstelte wie eine erkältete Bergziege: ehem, ehem! Ich mag ein Dummkopf sein, doch ich war sehr wohl in der Lage zu erkennen, daß dies ein künstliches Hüsteln war. Er wagte nicht, meiner Frau ins Gesicht zu blicken. Sein Blick war eine Heuschrecke, die hin und her sprang, sein Gesicht zuckte erbärmlich, ich konnte nicht sagen, ob aus Scham oder aus Furcht. Hastig stieß er mehrmals hintereinander aus: »Genug der Höflichkeiten, genug, erhebe dich, erhebe dich.«
Meine Frau stand auf und sprach: »Ich habe gehört, daß Exzellenz meinen Vater ins Gefängnis sperren ließ, was Euch die Gunst der Ausländer einbrachte. Ich habe schon Reiswein und Hundefleisch vorbereitet, um Euch zu beglückwünschen!«
Seine Exzellenz Qian lachte gekünstelt und brauchte eine Weile, bis er erwiderte: »Ich beziehe Lohn und Brot vom kaiserlichen Hof, wie könnte ich mir erlauben, meinen Pflichten nicht nachzukommen und Verantwortung zu übernehmen?«
Meine Frau lachte höhnisch, ging völlig ungeniert auf den Präfekten zu, liebkoste seinen schwarzen Bart und strich ihm über seinen dicken Zopf. Warum hat meine Mutter mir nicht einen so schön dicken Zopf vermacht? Dann stellte sie sich herausfordernd hinter den Sandelholzsessel meines Vaters und strich auch ihm zart über sein Zöpfchen.
»Da haben wir also meinen Schwiegervater und meinen Patenonkel. Ihr, Patenonkel, habt meinen Vater eingesperrt, und nun wollt Ihr auch noch meinen Schwiegervater dazu bringen, ihn umzubringen. Patenonkel, Schwiegervater: das Schicksal meines Vaters liegt in Euren Händen!«
Nach diesen Worten warf sie sich in eine Zimmerecke und begann lauthals zu schluchzen wie ein Kind. Sie tat mir leid, und ich näherte mich ihr zaghaft, um ihr über den Rücken zu streicheln. Ich sagte: »Frau, warum bist du so aufgebracht?«
Sie richtete sich auf und mit Tränen in den Augen fuhr sie mich an: »Du Volltrottel, wie kannst du das fragen? Reicht es nicht, daß ich die Bürde tragen muß, deiner Familie einen Nachfolger zu schenken?«
Sie sprach mit mir, aber ihre Augen ruhten auf Seiner Exzellenz Qian. Der Blick meines Vaters wanderte unterdessen zur Decke, als würde er dort einen Gecko beobachten. Seine Exzellenz Qian trat unruhig auf der Stelle wie ein kleiner Junge, der dringend zur Toilette muß. Ich sah, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Privatdozent Diao trat vor und verbeugte sich: »Exzellenz, erledigen wir zuerst die Amtsgeschäfte, Seine Exzellenz Yuan wartet im Tribunal auf eine Antwort.«
Der Präfekt hob den langen Ärmel seiner Amtsrobe, um sich damit über die Stirn zu wischen. Dann strich er sich über den Bart, hüstelte noch einmal wie eine Ziege, straffte seine Gesichtzüge, faltete die Hände vor der Brust und verbeugte sich mit sichtlichem Unwillen vor meinem Vater: »Wenn meine Wenigkeit sich nicht täuscht, seid Ihr Zhao Jia, die berühmte ›Großmutter Zhao‹?«
Mein Vater erhob sich und sagte in arrogantem Ton: »Ich bin Zhao Jia, ein Mann des Volks. Ich halte eine Gebetskette in den
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