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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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der essen, trinken, und sich entleeren muß. Wenn er wirklich auf mir liegen und mich besitzen würde, was wäre daran so besonders? Was hat er, was Xiaojia nicht hat? Meiniang, hör auf, dich verrückt zu machen! Eine strenge Stimme schien sie von irgendwo her zu ermahnen. Sie blickte zum Himmel, der klar und blau leuchtete, nicht das leiseste Wölkchen zog über ihn hin. Ein Schwarm Vögel flatterte fröhlich zwitschernd über ihr. Auch ihre Gedanken schienen mit einemmal klar und durchsichtig wie der Himmel zu sein. Sie seufzte, wie aus einem Traum erwachend, stand auf, klopfte sich die Grashalme vom Gesäß, richtete sich das zerzauste Haar und machte sich auf den Weg nach Hause.
    Auf dem Weg kam sie an einem Sumpfgebiet vorbei, in dem ein großer Tümpel lag. Auf der wie ein Spiegel glänzenden Wasseroberfläche schwammen zwei Reiher mit blütenweißem Gefieder. Sie rührten sich nicht von der Stelle, und es war, als wären sie seit tausend Jahren hier. Das weibliche Tier hatte den Kopf an den Hals des männlichen gelegt. Meiniang war es, als sähen sie einander an wie zwei Verliebte, die sich still an der süßen Zärtlichkeit ihres Liebsten erfreuten. Dann lösten sie sich voneinander, vermutlich weil ihre Ankunft sie aufgeschreckt hatte. Die beiden Reiher reckten die Hälse, breiteten die weißen Flügel aus, unter denen einige schwarze Federn zum Vorschein kamen, und begannen enthusiastisch zu schreien. Es war wie ein herzlicher Willkommensgruß für Meiniang. Kurz darauf beruhigten sie sich wieder und umschlangen sich mit den Hälsen. Wer hätte gedacht, daß Reiher so biegsame Hälse hatten? Du windest dich um mich, ich winde mich um dich, so binden wir uns zu einem Liebesknoten zusammen. Ich um dich und du um mich ... als sollte es niemals aufhören. Schließlich trennten sie sich. Mit den Schnäbeln fuhren sie sich gegenseitig flink und liebevoll durch das Gefieder. Es war ein Bild vollendeter Zärtlichkeit. Sie nahmen sich Zeit füreinander, ließen vom Kopf bis zum Schwanz keine einzige Feder aus ... Meiniang war zu Tränen gerührt. Sie warf sich auf die feuchte Erde, benetzte das Unkraut mit ihren Tränen und ließ ihr Herz gegen die Erde pochen. »Gütiger Himmel«, stammelte sie, »verwandle mich in einen weißen Reiher und auch Qian Ding ... Unter den Menschen gibt es Hoch und Niedrig, doch unter den Vögeln ist jeder gleich. Wir wollen uns umeinanderschlingen, wir wollen werden wie ein gewundenes Seil ... Laß mich mit meinem Schnabel seinen ganzen Körper abküssen, laß mir nicht das feinste Härchen entgehen ... und ebenso soll er mich abküssen. Oh, ich wünschte, ich könnte ihn mit Haut und Haar verschlingen ... Wir werden unzertrennlich sein ... Welch ein Glück wäre das, welche Wonne...«
    Sie wälzte ihr glühendheißes Gesicht im Gras, grub ihre Hände in die Erde und riß die Wurzeln der wilden Gräser aus. Dann stand sie auf und ging glücklich lächelnd auf die Reiher zu. Das weiße Seidentuch flatterte in ihrer Hand. Sie war aufgewühlt. Wenn sie nur einen Tropfen Blut von den Vögeln bekäme, nur einen einzigen kleinen Tropfen, dann würden ihre Träume wahr werden! »Habt Mitleid, ihr Vögel, mit einer armen Frau, der die Liebe das Herz versengt hat ...«
    Flügelschlagend erhoben sich die Reiher. Sie rannten mit ihren so tolpatschigen wie grazilen Beinen über das Wasser und wühlten dabei die glänzende Wasseroberfläche auf, auf der sie schön anzusehende, regelmäßige Kreise hinterließen. Sie wurden immer schneller. Ihre Tritte auf dem Wasser klangen wie splitterndes Glas; winzige Schaumkronen stoben. Schließlich streckten sie die Beine durch, legten sie unter den Schwanzfedern an und flogen davon. Sie flogen einfach davon. Sie landeten auf der anderen Seite des Moors und waren nur noch zwei weiße Punkte ... Meiniang war ihnen gefolgt. Sie stolperte ins Wasser, sackte in das schlammige Ufer ein, fühlte den kalten Morast auf ihrer Haut, sank tiefer und tiefer ...
    Es war Xiaojia, der sie rettete. Er hatte sie gesucht. Und nun kam er eilig herbeigelaufen und zog sie aus dem Morast heraus.
    Nach diesem Vorfall wurde sie schwer krank. Doch auch nach ihrer Genesung war sie nicht in der Lage, ihr Verlangen nach Qian Ding endlich zu bezwingen. Tante Lü brachte ihr heimlich ein Päckchen braunes Pulver vorbei. Mitfühlend sagte sie zu ihr: »Mein Kind, der Fuchsgott hat Mitleid mit dir und läßt mich dir dieses Antiliebespulver bringen. Löse das Pulver auf und trinke

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