Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
nicht sagen kann ...«
»Tante, ich liebe jemanden ... er hat mich völlig zerstört ...«
Die Hexe lächelte hinterhältig. »Mit deinem hübschen Gesicht, wie solltest du da nicht deinen Willen bekommen, große Schwester?«
»Tante, du weißt ja nicht, wer er ist ...«
»Und wenn schon? Ist er vielleicht einer der Unsterblichen der neun Grotten? Ein Arhat aus dem Paradies?«
»Nein, Tante, er ist keiner der Unsterblichen der neun Grotten und auch kein Arhat aus dem Paradies, es ist der Präfekt, Seine Exzellenz Qian ...«
Wieder blitzte es in den Augen von Tante Lü auf. Nur mühsam bezähmte sie ihre Neugier und ihre Erregung.
»Große Schwester, was schwebt dir vor? Erwartest du etwa Hilfe von einer alten Schachtel wie mir, um dein Ziel zu erreichen?«
»Nein, nein ...« Meiniang standen die Tränen in den Augen, sie hatte Mühe, zu sprechen. »Uns trennt ein Abgrund, es ist ein Ding der Unmöglichkeit ...«
»Du hast doch keine Ahnung von den Dingen zwischen Mann und Frau, mein Kind. Es reicht völlig, wenn du dem Fuchsgott eine Opfergabe als Zeichen deiner Unterwerfung darbringst. Selbst wenn sein Herz aus Stein ist, wird er sich am Ende erweichen lassen!«
»Tante ...« Meiniang bedeckte das Gesicht mit den Händen und die Tränen liefen ihr zwischen den Fingern herab. »Bewirke einen Zauber, der mich ihn vergessen läßt ...«
»Große Schwester, was grämst du dich? Wenn du doch so verliebt bist, warum dann die Sache nicht zu einem glücklichen Ende bringen? Gibt es denn etwas Wohltuenderes auf Erden als die Liebe zwischen Mann und Frau? Ich bitte dich, sei nicht dumm!«
»Wäre es denn wirklich möglich ... die Sache zu einem glücklichen Ende zu bringen?«
»Man muß nur fest genug daran glauben.«
»Ich glaube fest daran!«
»Knie nieder.«
4.
Gemäß der Anweisung von Tante Lü lief Sun Meiniang, ein blütenweißes Stück Seidenstoff an sich gepreßt, auf die Felder hinaus. Sie, die eigentlich immer Angst vor Schlangen gehabt hatte, hoffte nun sehnsüchtig, welche zu finden. Anderntags hatte Tante Lü sie vor dem Bildnis des Fuchsgottes niederknien und beten lassen. Tante Lü selbst hatte unterdessen Litaneien vor sich hingemurmelt, so lange, bis sie vom Fuchsgott besessen war. Ihre Stimme war hoch und schrill geworden wie die eines dreijährigen Mädchens. Der Fuchsgott hatte Meiniang mit dieser Stimme befohlen, auf die Felder hinauszulaufen und dort nach einem Schlangenpaar zu suchen, das dabei war, sich zu paaren. Sie sollte das Schlangenpaar in den Seidenstoff wickeln und warten, bis die Schlangen kopuliert hätten. Ein Blutstropfen würde im Stoff zurückbleiben. Der Fuchsgott hatte gesagt: »Nimm dieses Stück Seidenstoff und gehe zu deinem Liebsten. Wenn du die Seide vor ihm ausbreitest, wird er dir folgen. Von diesem Augenblick an wird seine Seele ganz dir gehören und man wird ihn töten müssen, bevor er aufhört, an dich zu denken.«
Meiniang hatte einen Bambuskorb genommen und war zu den wilden Graslandflächen weit draußen vor dem Städtchen gelaufen. Dort suchte sie die tiefer gelegenen, feuchten Stellen ab, auf denen die Pflanzen wild wucherten. Ein neugieriger Vogel kreiste über ihrem Kopf und krächzte laut. Die Schmetterlinge flatterten sanft vor ihrem Gesicht. Ihr Herz war auch so ein Schmetterling, es schwebte schwerelos durch die Luft. Ihre Füße schienen auf Watte zu gehen, ihr Körper fühlte sich schwach, sie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Sie bog das Unkraut auseinander und störte Heuschrecken auf, sie fand Grashüpfer, Igel und Hasen ... nur auf Schlangen stieß sie nicht. So sehr sie hoffte, auf welche zu stoßen, so sehr fürchtete sie sich auch davor. Plötzlich hörte sie ein lautes Knacken. Eine riesige, gelbbraune Schlange wand sich züngelnd aus dem Unterholz hervor und schnitt vor ihr horrende Grimassen. Die Schlange sah aus, als hätte sie ein sarkastisches Grinsen auf dem dreieckigen Gesicht. Meiniang wurde schwarz vor Augen und für einen kurzen Moment sah sie gar nichts mehr. Aus ihrer Benommenheit heraus vernahm sie den eigenen, kläglichen Schrei und fand sich plötzlich auf der Erde sitzend wieder. Von der Schlange war keine Spur mehr zu sehen. Kalte Schauer liefen ihr den Rücken hinunter und ihr Herz hämmerte wie ein harter Kieselstein gegen ihren Brustkasten. Sie spuckte Blut.
Bin ich blöde, dachte sie. Wie konnte ich den Zaubersprüchen dieser Hexe nur Glauben schenken? Wer ist denn Qian Ding? Der ist auch nur ein Mensch,
Weitere Kostenlose Bücher