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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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wie ein Eimer eiskaltes Wasser, den man Meiniang über den Kopf geschüttet hatte; sie bewirkten für ein paar Tage Ernüchterung. Das Bild von den spitzen, kleinen Füßen ließ sich nicht vertreiben, und nur die Erinnerung an den tiefgründigen und unendlich teilnahmsvollen Gesichtsausdruck des Präfekten kam dagegen an. Zu guter Letzt verschwammen die Lotusfüßchen zu einem undeutlichen Phantombild, gegen das sich der vieldeutig zärtliche Blick Qian Dings und dessen Charme immer prägnanter abhoben. Er ging ihr einfach nicht aus dem Sinn. Betrachtete sie einen Baum, begann er sich zitternd und schwankend in den Präfekten zu verwandeln. Betrachtete sie den Schwanz eines Hundes, verwandelte er sich alsbald wedelnd und schwingend in den Zopf Seiner Exzellenz. Entfachte sie das Feuer zum Kochen, erschien ihr in den züngelnden Flammen das Gesicht Qian Dings. Ging sie die Straße entlang, konnte es passieren, daß sie völlig gedankenverloren gegen eine Mauer lief. Sie schnitt sich beim Fleischschneiden in den Finger und verspürte nicht den geringsten Schmerz. Sie ließ einen ganzen Topf Hundefleisch anbrennen und nahm den Geruch nach Verkohltem nicht wahr. Was auch immer sie sah, nahm die Gestalt des Präfekten oder einer seiner Körperteile an. Wenn sie die Augen schloß, spürte sie die Wärme seines Körpers neben ihr. Sie spürte, wie sein harter Bart ihre zarte Haut kitzelte. Nacht für Nacht träumte sie von ihren eng ineinander verschlungenen Körpern. Die Schreie, die sie im Traum ausstieß, ließen Xiaojia vor Schreck vom Kang plumpsen. Sie wurde blaß und magerte ab, ihre Augen jedoch sprühten Funken. Ihre Kehle wurde rauh. Häufig hörte man sie in der düsteren, heiseren Art lachen, wie nur Frauen lachen können, die von einem brennenden Verlangen verzehrt werden. Sie wußte, daß die Liebeskrankheit sie befallen hatte, und sie wußte auch, daß die Liebeskrankheit etwas Fürchterliches war. Die einzige Rettung für eine Frau, die von der Liebeskrankheit heimgesucht wurde, war die Vereinigung mit dem Verursacher der Krankheit. Andernfalls würden ihr die Adern austrocknen, sie würde Tuberkulose bekommen, Blut spucken und sterben. Sie hielt es zu Hause nicht mehr aus. Alles, was ihr zuvor wichtig gewesen war und ihr Leben bereichert hatte, interessierte sie nicht mehr, nicht einmal mehr das Geldverdienen mit der Schenke. Der beste Wein wollte ihr nicht mehr schmecken, die schönsten Blumen schienen ihr fahl und farblos.
    Sie schulterte ihren Bambuskorb, füllte ihn mit Hundefleisch und paradierte damit dreimal am Tag vor dem Tor des Yamen, in der Hoffnung, zufällig mit dem Präfekten zusammenzustoßen, wenn er das Amt verließ, oder wenigstens mit seiner grünbespannten Sänfte. Doch vom Präfekten war nicht das geringste Lebenszeichen zu bekommen, es war, als sei er wie eine Wasserschildkröte in die Tiefsee abgetaucht. Als sie Meiniang vor dem Yamen auf- und abgehen sahen und ihr heiseres, verzweifeltes Lachen hörten, wurden die Wachen vor dem Tor ganz verrückt und kratzten sich die Köpfe. Nur zu gern hätte sie gegen dieses Tor angeschrien, sich den ganzen Unmut, den sie im Herzen trug, von der Seele geschrien, bis Seine Exzellenz sie hörte, statt dessen flüsterte sie nur still vor sich hin: »Mein Liebster ... Mein Herz ... ich sterbe vor Sehnsucht nach dir ... bitte, hab Erbarmen mit mir ... Der Präfekt ist wie der unsterbliche Pfirsich, stark ist er und außergewöhnlich ... auf den ersten Blick habe ich einen Narren an dir gefressen, und auch nach drei Leben werde ich dich nicht vergessen ... Mein Herz ist ganz von dir besessen ... Die süßesten Früchte wachsen immer ganz oben im Baum und hinter den Blättern sieht man sie kaum ... Immerzu schau ich nach oben und gebe acht, ich denk an dich am Tag und in der Nacht ... Der Hunger der Liebe rast in mir, das Wasser läuft mir im Munde zusammen ... Kommt die Erntezeit, schüttele ich den Baum mit Heftigkeit ... Fällt der Pfirsich nicht herab, dann steige ich selbst hinauf ...«
    Die Liebeshymnen, die in ihr brodelten, formten sich zu einer leidenschaftlichen Arie der Katzenoper, die sie immerzu vor sich hinsang; den Blick entrückt, die Augen verzückt, erinnerte sie an eine Motte, die einen leidenschaftlichen Tanz um eine lodernde Flamme aufführt. Die Zivilsoldaten und die Schergen des Yamen staunten nicht schlecht über ihr Verhalten. Sie hatten nicht wenig Lust, die Gelegenheit zu nutzen und sich diesen Leckerbissen zu schnappen, aber

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